Pressemitteilung zur Wahl des Vorstands und Umbenennung des Vereins

Der Verein „Bürger Pro CityBahn Wiesbaden e.V.“ hat sich am 16.02.2021 im Rahmen seiner jährlichen Mitgliederversammlung, umbenannt. Der neue Name „Wiesbaden neu bewegen e.V.“ soll die Ausrichtung auf einen ganzheitlichen Ansatz zur Lösung der Verkehrsprobleme Wiesbadens unterstreichen. „Wir wollen die Politik kritisch begleiten, uns weiter aktiv einbringen und dabei auf Lösungen pochen, die es allen Menschen in Wiesbaden ermöglichen, klimafreundlich, bequem, effizient und schnell mobil zu sein.“ sagt Wito Harmuth, der neue Vorsitzende des Vereins. 

Als Stellvertreter wurde Jürgen Gerhardt in seinem Amt bestätigt. Zum Kassenwart wurde Alexander Mehring gewählt. Beisitzer sind weiterhin Ulla Bai und Claudio Shah sowie der neu hinzugekommene Olaf Wuthnow.

Der neue Vorstand bedankt sich bei den scheidenden Vorstandsmitgliedern Martin Kraft, Mathias Lück und Lars Blaszkowski für ihren unermüdlichen Einsatz, die Menschen in Wiesbaden von der Richtigkeit und Notwendigkeit eines leistungsfähigen ÖPNV in Verbindung mit einer Straßenbahn zu überzeugen. Ausdrücklicher Dank geht außerdem an die weiteren zahlreichen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, die sich bis zum Bürgerentscheid über Monate mit großem Engagement für eine Straßenbahn in Wiesbaden eingesetzt hatten. 

Mit dem Bürgerentscheid aus dem November 2020 verbieten sich politische Planungen für eine Straßenbahn in Wiesbaden für mindestens drei Jahre. Dennoch braucht Wiesbaden einen besseren öffentlichen Personennahverkehr in und um Wiesbaden. “Mit der Umbenennung wird der Verein dies zu seinem Schwerpunkt machen, unter Einbeziehung aller Verkehrsträger”, so Harmuth. ”Nur im Miteinander können die derzeitigen Verkehrs- und Mobilitätsprobleme in unserer Stadt gelöst werden. Ein Teil des Engagements von ”Wiesbaden neu bewegen e.V.” wird weiterhin das Vorantreiben und Ausbauen des schienengebundenen Verkehrsangebots in Wiesbaden und Umgebung bleiben, darunter die Reaktivierung der Aartalbahn und der Ausbau der Ländchesbahn.” 

Die vollständige Umstellung mit einem neuen Logo und einer neuen Webseite wird noch etwas dauern. 

Eine erste Aktion unter dem neuen Namen “Wiesbaden neu bewegen e.V.” ist im Vorfeld der anstehenden Kommunalwahl allerdings bereits in Planung. Weitere Informationen erhalten Sie in Kürze.

24.12. Mit der Tram durch das biblische Jerusalem

Wohl keine andere Straßenbahn führte beim Bau zu derartigen, nationalen und internationalen Diskussionen wie die Tram durch Jerusalem. Die hitzigen Auseinandersetzungen entbrannten aber nicht, weil ihre verkehrliche Notwendigkeit angezweifelt wurde. Nicht, weil sich Einwohner und Politik um das Jahrtausende alte Stadtbild sorgten. Auch nicht, weil die Straßenbahn neben weiteren Projekten zu einer Neuordnung des öffentlichen Raumes zugunsten von shared spaces führte.

Ultraorthodoxe, palästinensische Aktivisten, Schriftsteller, Sicherheitsmänner und Neueinwanderer, Juden, Moslems und Christen begegnen einem auf der Reise mit der Tram. Wer in den eigentümlichen Alltag Jerusalems einsteigen will, sollte die Strecke auf voller Länge abfahren, von West nach Ost, und zwischendrin immer wieder aussteigen.

aus: Jerusalems Linie 1, Jan Schapira

Die Linie 1 der Straßenbahn Jerusalem quert die Stadt auf knapp 14 Kilometern – durch jüdische Stadtteile, arabische Viertel und den palästinensischen Ostteil Jerusalems. Sie verbindet als verkehrliche Lebensader gesellschaftliche Gruppen, die unterschiedlicher nicht sein können. Die Bahn baut – im wahrsten Sinne des Wortes – Brücken. Die Straßenbahn verbindet vormals fremde Viertel und lässt so Jerusalem weiter zusammenwachsen, sagen die einen. Sie verhindert eine Zwei-Staaten-Lösung, weil man auf einer Straßenbahn keine Grenze hochziehen kann, sagen die anderen. Wegen der durchaus brisanten, geopolitischen Lage ist sie wohl auch die einzige Straßenbahn der Welt, die mit kugelsicheren Fenstern ausgestattet wurde.

Chords Bridge – Die „Harfe“. Die Brücke, eröffnet 2009, ist ausschließlich Fußgängern, Radfahrern und der Straßenbahn vorbehalten.
(Petdad, Jerusalem Chords Bridge, CC BY-SA 3.0)

Seit 2011 führt sie vom Herzlberg im Westen der Stadt über den zentralen Busbahnhof, die belebte Jaffa Straße mit dem beliebten Mahane Yehudamarkt und die Fußgängerzone zur Altstadt. Hier fährt sie direkt an der Jahrtausende alte Stadtmauer entlang, über das markanten Damaskustor und von dort aus weiter Richtung Norden. Knapp 150.000 Fahrgäste nutzen die Bahn, jeden Tag. In Doppeltraktion verkehren die Züge aktuell alle sechs Minuten. Der Bau der Bahn ging einher mit einer ganzen Reihe an Maßnahmen zur Aufwertung der Stadt: Entlang der Route wurden hunderte Bäume gepflanzt, Plätze umgestaltet und die ehemals stark vom Autoverkehr belastete Jaffa Road ist heute eine Fußgängerzone.

Die Jaffa Road, fast ein Jahrhundert lang, die wichtigste Autostraße Jerusalems, ist jetzt eine Fußgängerzone. Durchfahren wird sie nur noch von der Straßenbahn.

(VnGrijl from Warsaw, Poland, Jerusalem (11469175493), CC BY-SA 2.0)

Wenige Jahre nach der Eröffnung der Straßenbahn wird nicht nur die Strecke der Linie 1 (Red Line) verlängert, auch zwei weitere Linien (Blue Line und Green Line) sind aktuell im Bau und in der Ausschreibung. Sie binden nach ihrer Fertigstellung beispielsweise die Universität Jerusalem und das Regierungsviertel an. Die israelische Rechtsgrundlage für den Betrieb der Straßenbahn (SI 5350) ist, inklusive Signalbuch, übrigens eine Übersetzung der deutschen Bau- und Betriebsordnung Straßenbahn. (/rr + /ml)

Zum Weiterlesen und -schauen

18.12. Mitten durchs UNESCO-Weltkulturerbe

Im November 1956 stellte die schottische Hauptstadt Edinburgh den Straßenbahnbetrieb ein. Ziemlich genau fünf Jahrzehnte später begann die Stadt damit, ein neues Straßenbahnnetz zu errichten. Die Route verläuft mitten durch den Stadtteil New Town – der gemeinsam mit dem Nachbarbezirk Old Town zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde.

Princes Street, eine belebte Shoppingmeile. (Dr Neil Clifton, Edinburgh tram, Princes Street, 13 September 2014, CC BY-SA 2.0)

Historische Architektur und ein einmaliges Stadtbild prägen die Innenstadt Edinburghs. Ungeeignet für eine Straßenbahn? Mitnichten. Die Fahrzeuge wurden besonders geräuscharm konzipiert und so gestaltet, dass sie sich auch optisch gut einfügen. Auch das Ziel, durch den ÖPNV-Ausbau insgesamt weniger Fahrzeuge in der Innenstadt zu haben, ist dem Weltkulturerbe zuträglich. Auch deshalb verbindet die Tram auch die Innenstadt direkt mit dem Flughafen.

Zwei Bahnen am Saint Andrews Square (tramlife 04 flickr photo by byronv2 shared under a Creative Commons (BY-NC) license )

Getrieben vor allem durch die Wirtschaftskrise Ende der 2000er verzögerten sich die Bauarbeiten; auch wurde nur ein Teil des geplanten Netzes realisiert. 2014, sieben Jahre nach Baubeginn, folgte die feierliche Eröffnung. Bereits im folgenden Jahr lagen sowohl Fahrgastzahlen als auch Einnahmen deutlich über den Prognosen – eine Verlängerung der Bahn um weitere sieben Stationen daher bereits beschlossen. Seit Juni 2018 wird auch über einen weiteren Ausbau in den Vorort Musselburgh nachgedacht– die Einfallstraßen aus dem 22.000 Einwohner-Ort versinken täglich im Stau.

Zum Adventskalender

17.12. Ystyge, entrer, einsteigen! – Grenzenlos durch Basel

Bereits seit 1895 verkehrt DAS Tram durch Basel (in der Schweiz heißt es nicht „die Tram“, sondern „das Tram“) und ist seitdem das Mobilitäts-Rückgrat der Stadt. Auf insgesamt 13 Linien und 70 Kilometer Schienennetz werden Menschen an ihr Ziel gebracht.

Ihr besonderes Merkmal ist dabei das Überwinden von Grenzen. So existierte seit 1900 bis 1957 eine Verbindung nach St. Louis (F) und von 1919 bis 1967 eine grenzüberschreitende Linie zwischen Basel (CH) und Lörrach (D).

Grenzübergang Basel-Kleinhüningen – Weil am Rhein-Friedlingen mit Haltestelle “Weil am Rhein Grenze“ der Basler Tramlinie 8
(Andreas Schwarzkopf, Grenzübergang Basel-Kleinhüningen – Weil am Rhein-Friedlingen, CC BY-SA 3.0)

Aber auch zwischen den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft überwindet das Tram die Grenzen. Die Verantwortlichkeit dafür trägt die Baselland Transport (BLT; erkennbar an der gelb-roten Lackierung). Sie transportiert die Menschen aus den Vororten in die Stadt Basel und bildet das Bindeglied zwischen beiden Kantonen. Die BLT trägt dabei aber auch die Verantwortung für die am längsten noch im Betrieb befindliche internationale Tramverbindung der Welt: Seit 1986 ist französische Gemeinde Leymen direkt mit der Basler Innenstadt verbunden.

Seit den 2000ern wird die Idee eines internationalen Netzes weiterentwickelt. So wurde von 2008 bis 2014 die Linie 8 der Basler Verkehrsbetriebe (BVB; erkennbar an der grünen Lackierung) von Basel aus in die deutsche Gemeinde Weil am Rhein verlängert und ermöglicht insbesondere Pendlern und Shopping-Touristen einen einfacheren Übergang zwischen beiden Orten. Dies zeigt sich besonders am Wochenende, wenn die Basler und Baslerinnen in Massen zum Einkaufen in den Ort strömen. Die Linie 8 bringt sie dabei direkt vor die Türen der Geschäfte und entlastet so den Ort im Kampf gegen den jeden Samstag stattfindenden Verkehrsinfarkt.

Haltstelle „Burgfelderhof“ (Grenzübergang Saint-Louis/Basel); Fahrzeug der BVB (Smiley.toerist, Basel tramline 3 2018 3, CC BY-SA 4.0)

Gleiches schafft seit 2015 die Linie 3 der BVB. Sie verbindet seitdem wieder den Grenzort St. Louis mit Basel. Ein Ausbau bis zum Flughafen Euroairport Basel-Mulhouse-Freiburg ist für den Zeitraum von 2020 bis 2025 geplant.

16.12. Neue Straßenbahn für die größte Autofahrernation

Im Jahr 1947 fuhr die letzte Straßenbahn durch Oklahoma City (OKC), USA bevor sie dem großen amerikanischen Straßenbahnskandal zum Opfer viel. Damals wurden unter Führung des Automobilherstellers General Motors die Straßenbahnen in 45 amerikanischen Städten systematisch zerstört. Seit 1981 bauen US-amerikanische Städte wieder Straßenbahnen auf.

Am 14. Dezember vor zwei Jahren fand das Grand Opening der OKC Streetcar in Oklahoma City statt. Die Stadt feierte ein ganzes Wochenende und für die Bürger gab es Freifahrten bis Anfang Januar. Danach kostet eine Fahrt 1,00 USD.

(Kool Cats Photography over 9 Million Views from Edmond, OK, USA, OKC Streetcar (38923640550), CC BY 2.0)

Die Strecke ist ein Rundkurs von 7.4 km Länge. Die Fahrzeuge des amerikanischen Herstellers Brookville Equipment Co ermöglichen einen barrierefreien Zugang, genauso wie alle 22 Haltestellen barrierefrei gestaltet sind. Rechts eine Rampe, links Treppen. Fahrradfahrer können sich über Fahrradhalterungen in der Straßenbahn freuen.

Die Straßenbahn kann kurze Strecken ohne Oberleitung fahren und nutzt in einer Unterführung die Energie aus einer Batterie. Übrigens, die Motor City Detroit eröffnete 2017 eine Straßenbahn! (/cs)

11.12. – Kansas City: Mit dem ÖPNV zur sozialen Stadt?

Seit Beginn der 2000er haben in den Vereinigten Staaten von Automerika ein Dutzend Städte neue Straßenbahnsysteme eröffnet -weitere folgen. So eröffnete auch Kansas City (Missouri) 2015 eine neue, rund dreieinhalb Kilometer lange Linie durch das Stadtzentrum – von der Union Station zum River Market. Aber das ist nicht die eigentliche Meldung.

Am 05. Dezember 2019 beschloss der 13-köpfige Stadtrat einstimmig (!), den öffentlichen Nahverkehr gratis zu machen. Damit ist Kansas City die erste US-amerikanische Großstadt, die einen flächendeckend kostenlosen Nahverkehr zur Verfügung stellt – mit hochgradig interessanten Begründungen.

♫ One more lane will fix it ♪
In Kansas City ist das Auto (wie in anderen, US-Amerikanischen Städten) das Verkehrsmittel Nummer 1. Die gezeigte Interstate hatte bereits 1998 zehn Spuren.
(Bild: kansas-city-traffic flickr photo by Thomanication shared under a Creative Commons (BY-ND) license )

Während die Straßenbahn bereits seit ihrer Eröffnung gratis war, entfallen nun die Fahrpreise im Busnetz der Stadt. Zuvor kosteten Einzelfahrten 1,50 USD, Monatstickets waren für 50 USD erhältlich. Insgesamt neun Millionen USD stellt die Stadt dafür zusätzlich bereit.

Zum Nahverkehr in Kansas City

Auf 80 Buslinien unterhält die städtische KCATA 330 Solobusse – darunter Erdgas-, Hybrid- und seit neuestem auch Elektrobusse. 2005 eröffnete in Kansas City unter dem Markennamen MAX (Metro Area Express) die erste Expressbuslinie – mit durchaus beachtlichem Erfolg. So konnten die Fahrgastzahlen auf den betroffenen Routen binnen der ersten Jahre um 50% gesteigert werden. Auch die Straßenbahn freute sich im Frühjahr 2019 über ihren sechs-Millionsten Fahrgast.

Da jeder Zug mit einer automatischen Zählung versehen ist, gibt der Betreiber die Fahrgastzahlen sogar tagesscharf an – mit interessanten Einblicken. So zeigt der Blick auf die Ist-Auslastung: Am Samstag sind im Schnitt doppelt so viele Menschen mit der Bahn unterwegs wie sonntags oder an Werktagen. Auch sind über die Sommermonate mehr Menschen mit der Bahn unterwegs als im Winter.

Traum und Alptraum der Verkehrsplanung gleichermaßen: Dichte Blockbebauung, riesige Parkplätze und (überdimensioniert wirkende) Straßen zeichnen das Stadtbild.

(Bild: Kansas City Photos flickr photo by Pam_Broviak shared under a Creative Commons (BY-SA) license )

Beide Erfolgsgeschichten dürfen allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass die Bedeutung des ÖPNV in Kansas (noch) recht gering ist. So werden die MetroBus-Linien beispielsweise mit einem „zehn-Minuten-Takt mit Solobussen“ beworben. Angesichts von Wiesbadener Linien, die im acht-Minuten-Takt mit Gelenkbussen fahren und dennoch zu voll sind, wird klar: Da ist noch Potenzial.

Interessante Begründungen

Umso wichtiger ist nun das Zeichen, den ÖPNV komplett kostenlos zu gestalten. Während das in anderen Städten angesichts voller Straßen und schlechter Luft auch diskutiert wird, äußern die Stadtratsmitglieder vom Kansas sehr interessante Gründe für ihr Vorgehen. Denn für die Stadt ist kostenloser ÖPNV kein ökologisches Projekt – sondern ein soziales.

When we’re talking about improving people’s lives who are our most vulnerable citizens, I don’t think there’s any question that we need to find that money (…) I believe that people have a right to move about this city.

Eric Bunch, Kansas City Council
Die 2005 unter dem Markennamen MAX (Metro Area Express) eingeführten Expressbuslinien konnten das Fahrgastaufkommen auf den ausgewählten Strecken um die Hälfte steigern. Vorn befinden sich zwei Fahrradhalterungen.

(Bild: MAX Bus on Main flickr photo by pasa47 shared under a Creative Commons (BY) license )

So argumentiert Stadtrat Eric Bunch: Mobilität in der Stadt sei ein Grundrecht der Einwohner. Von kostenlosem ÖPNV könne die Gemeinschaft drastisch profitieren. Finanziell schwache Einwohner können sich nun leisten, in die Innenstadt oder andere Viertel zu fahren – mit positiven Folgen für das Zusammenleben.

Given the ubiquity of fare-evasion arrests, this is part of what ending mass incarceration looks like: Kansas City moves to make mass transit free.

David Menschel, Strafverteidiger

Zusätzlich, so argumentiert Rechtsanwalt David Menschel, sei gratis ÖPNV ein geeignetes Mittel gegen die Kriminalisierung von Armut. Die Spirale Armut – Schwarzfahren – Gefängnis sei anders kaum zu durchbrechen.

Die Metrobusse verfügen vorn über zwei Radhalterungen – im Innern der 12-Meter-Busse ist dafür kaum Platz. (Bild: Kansas City flickr photo by luca.sartoni shared under a Creative Commons (BY-SA) license )

06.12.: Kiezblocks in Berlin

Barcelona, Berlin, Biebrich? Vor gut zwei Jahren wurden in Barcelona die ersten Superblocks umgesetzt. Am 30. Oktober letzten Jahres hatte die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg (Berlin) für die Einführung des ersten Superblocks in Berlin gestimmt – doch die Umsetzung lässt in diesem coronagehandicapten Jahr noch immer auf sich warten.

Die simple Idee stammt aus Barcelona: Die Wohnviertel vom Durchgangsverkehr befreien und so Platz für die Anwohner zu schaffen – zum Aufenthalt, zum Leben, für Gastronomie, Grün, Rad und Fußverkehr.

Superblock
Konzept eines „Superblocks“ Grafik: Agéncia d’Ecologia Urbana de Barcelona

Dabei hilft das schachbrettartige Layout der Stadt ungemein. Statt Verkehr auf allen Straßen zuzulassen, werden mehrere Wohnblocks zu einem Superblock zusammengefasst. Die inneren Straßen werden zu Fußgängerzonen – Notfallfahrzeuge kommen weiterhin rein, per Zugangskontrollen ebenso die Anwohner. Durchgangsverkehr muss draußen bleiben. Für den Lieferverkehr werden wohldefinierte Parkplätze vor- und freigehalten.

Der Wasserturm in der Fidicinstraße im Berliner Bergmannkiez. (Bild: JoachimKohlerBremen, Fidicinstr. 36 und Wasserturm (Kopischstr. 7) in Berlin-Kreuzberg, CC BY-SA 4.0)

Ganz so radikal wie in Barcelona dürfte der Superblock im Berliner Bergmannkiez zwar nicht ausfallen – denn Fahrten mit dem PKW werden weiter möglich. Allerdings soll die Verkehrsführung angepasst werden. Autos, die von einer Hauptstraße in das Viertel einbiegen, werden so geleitet, dass sie auf derselben Hauptstraße wieder rauskommen. Parken, Be- und Entladen soll damit weiter möglich sein – Durchfahren aber nicht. Für die schnellen Radfahrer (also den Rad-Transitverkehr) sollen auf den umgebenden Hauptstraßen Radwege entstehen – und diese damit aus dem Viertel ebenfalls raushalten.

Der Bergmannkiez

Der Bergmannkiez ist mit einer Fläche von knapp 60 Hektar in etwa so groß wie das historische Fünfeck in Wiesbaden. Dem Beschluss voraus war die Anwohnerinitiative „Bergmannkiez für Menschen statt für Durchgangsverkehr.“ gegangen. Sie hatten in einer Umfrage die Zustimmung der Mehrheit der Anwohner*innen erhalten. Mittlerweile heißt es aus der zuständigen Bezirksverwaltung nur noch zurückhaltend, die Ergebnisse der Befragung würden von der „Fachabteilung bearbeitet.“

Gut möglich, dass auf diese Weise ein Straßenzug im nördlich gelegenen Waldseeviertel das Rennen macht. Die Bezirksverwaltung Reinickendorf empfahl dem Bezirksamt ohne Gegenstimmen, „temporäre Modalfilter“ – im Volksmund auch Blumenkübel genannt – zu installieren.

Derart einfache Maßnahmen sollten könnten auch in geeigneten Bereichen in Wiesbaden untersucht werden – denn auch hier leiden Anwohner vielerorts unter dem Durchgangsverkehr.

04.12. – In der Geburtsstadt des Autos mit der Bahn unterwegs

Die Mannheimer Geschichte wurde schon immer vom Verkehr geprägt. In Mannheim wurde der elektrische Aufzug erfunden, Traktoren, Luftschiffe, Raketenflugzeuge – aber auch das Fahrrad, das Auto und der Führerschein als solches.1 Mannheim brüstet sich auch mit der Erfindung des Spaghetti-Eises. Aber das sei nur als Anekdote am Rande erwähnt.

Auch der öffentliche Nahverkehr in Mannheim zeichnet sich neben seiner bemerkenswerten Leistungsfähigkeit auch durch Mut zum Experimentieren aus. Mitte der 1970er Jahre verkehrte mit dem Aerobus ein Zwitter zwischen Bus und Seilbahn. In den 90ern wurde eine Strecke auf Spurbusse umgerüstet – also handelsübliche Busse, die durch zusätzliche, seitliche Rollen spurgeführt wurden. 2015 fuhren die ersten Akkubusse, geladen durch Induktion. All diese Ideen sind mittlerweile Geschichte. Eines blieb: Die Straßenbahn.

Die Haltestelle Abendakademie mit Blickrichtung Süden – im Hintergrund das Stadtschloss. Die unauffälligen Bordsteine im Haltestellenbereich sorgen für barrierefreien Einstieg.
(Jan Rehschuh, Streetcar Straßenbahn Tram Mannheim RNV Rhein-Neckar-Verbund 19, CC BY 3.0)

Das gemeinsam betriebene Straßenbahnnetz von Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg bringt es auf 25 Linien, 299 Kilometer Strecke, 190 Züge und eine halbe Million Fahrgäste – jeden Tag. Tendenz in allen Bereichen steigend. Neue Linien, neue Haltestellen, neue Fahrzeuge, neue Fahrgäste.

Hingucker in Mannheim ist die Fußgängerzone – die Planken. Im Zentrum der Innenstadt – der Quadrate – gelegen, bildet die Zone gleichzeitig die Shoppingadresse schlechthin. 1975 wurden die Planken zur Fußgängerzone. Obwohl der Einzelhandel Bedenken äußerte, dass weniger Autos gleich weniger Kunden bedeuten, beteiligen sich Handel und IHK konstruktiv an der Ausgestaltung der Planken und steuern freiwillig mehr als eine Million DM bei. Bereits ein halbes Jahr vor der Eröffnung werden die ersten, neuen Bäume gepflanzt – die Zone in den folgenden Jahrzehnten immer wieder erweitert (z.B. 1977, 1979, 2007, 2016).

Fußgänger, Radfahrer, Straßenbahnen, Bäume – alles da. Paradeplatz, Blickrichtung Norden. Hinten Rechts befindet sich ein Lidl – mit Haltestelle, aber ohne einen einzigen Parkplatz.
(Jan Rehschuh, Streetcar Straßenbahn Tram Mannheim RNV Rhein-Neckar-Verbund 12, CC BY 3.0)

Heute teilen sich Fußgänger, Radfahrer und acht Straßenbahnlinien die Fußgängerzone. Zentraler Umsteigeort der Bahnen ist gleichzeitig der Kern der Shoppingmeilen: Der Paradeplatz. Gleichzeitig fährt in den Quadraten kein einziger Linienbus – die Bahnen leisten hier alle Arbeit.

Auf den autofreien Straßen floriert der Einzelhandel. Beispiel Zentralitätskennziffer: Sie gibt an, wie stark der örtliche Einzelhandel überregionale Kunden anzieht. Ein Wert von 100 zeichnet ein ausgeglichenes Bild: Im Handel vor Ort wird genauso viel Geld ausgegeben, wie die Einwohner zur Verfügung haben. Bei Werten unter 100 gehen die Einheimischen auswärts shoppen, Orte mit Werten über 100 ziehen auswärtige Kunden an.

Der Marktplatz in Mannheim. Noch ist wenig los, im Hintergrund überholt ein Notarztwagen. Rechts der Haltestelle (hier nicht im Bild): Ein großer Supermarkt, der ohne Parkplätze auskommt.
(A tram stop at the Marktplatz in Mannheim, Germany flickr photo by Anguskirk shared under a Creative Commons (BY-NC-ND) license )

Mannheim belegt hier mit >150 den bundesweiten Spitzenplatz aller Städte über 200.000 Einwohner. Vereinfacht: In Mannheim setzt der Einzelhandel 50% mehr Geld um, als die Mannheimer Einwohner zur Verfügung haben. Die Stadt zieht also massiv Einkäufer aus dem Umland an. (Zum Vergleich: Mainz liegt bei 109, Wiesbaden bei knapp 112). Auf dem Mannheimer Marktplatz gibt es nicht nur rege besuchte Wochenmärkte – sondern auch einen großen Supermarkt. Und das ohne einen einigen Parkplatz, dafür aber mit Straßenbahnhaltestelle vor der Haustür.

Der gut besuchte Wochenmarkt auf dem Marktplatz. Im Vordergrund kreuzen Fußgänger die Gleise auf dem kurzen Weg zur barrierefreien Haltestelle. Unvorstellbar, würden die Leute hier mit Auto statt mit ÖPNV anreisen.
(Photo: Andreas Praefcke, Mannheim Rathaus Marktplatz 2005, CC BY 3.0)

Neben der massiven Erweiterung des Straßenbahnnetzes verfolgt die Stadt Mannheim nun auch das Ziel, den Lieferverkehr aus der Fußgängerzone rauszuhalten. Dazu wurden designierte Lieferzonen eingerichtet – die Lieferfahrzeuge halten nicht mehr in der Fußgängerzone direkt, sondern auf Parallel- oder Seitenstraßen. Die letzten Meter werden dann per Sackkarre oder Lastenameise zurückgelegt werden. Poller und erhöhte Polizeipräsenz sorgen hier für die Umsetzung.

Quellen

Quellen
1 Mannheim brüstet sich auch mit der Erfindung des Spaghetti-Eises. Aber das sei nur als Anekdote am Rande erwähnt.

Fakt oder Fiktion: Das drei Mal teurer Märchen (wiedermal)

Märchen leben davon, dass man sie öfter erzählt. Und so wurde auch das „Drei Mal teurer“ Märchen, welches wir vor zwei Jahren bereits analysierten und in weiten Teilen widerlegten, kürzlich neu aufgelegt. Hintergrund ist der im August 2018 vor der IHK vorgetragene Vortrag der Fima TransCare und deren Kostenvergleich Bus-Bahn. Details dazu im Originalartikel:

Der Kostenvergleich wurde nun (Stand 22. Oktober 2020) aktualisiert (zu finden auf den Seiten der BI Mitbestimmung) und kam zum gleichen Ergebnis: Die Straßenbahn sei drei Mal so teuer wie ein Bussystem. Die neuerliche Kostenberechnung macht dabei aber nicht nur dieselben Kardinalfehler wie das zwei Jahre alte Original – es kommen noch mehr Verzerrungen zugunsten des Bussystems hinzu.1Diese seien hier aufgezählt – in dem Originalartikel findet ihr eine entsprechende Excel-Tabelle und könnt die Zahlen im Detail selbst nachvollziehen.

Fazit

Der erneuerte Kostenvergleich der Firma TransCare (dankend übernommen von der BI Mitbestimmung) übernimmt nicht nur die bereits vor zwei Jahren eingebauten Fehlannahmen – es kommen weitere hinzu. Und so verzerrt der Kostenvergleich (wieder) zugunsten des Bussystems, um weiter falsche Schlussfolgerungen zu ziehen. Auf ehrlichen und korrekten Zahlen basierend zeigt der Vergleich aber dasselbe Verhältnis wie noch vor zwei Jahren:

Die Kosten pro Platzkilometer (ohne Infrastruktur) liegen bei der Tram bei 4,22ct/plkm, beim verglichenen Elektrobussystem bei 5,26ct/plkm.

Mit Berücksichtigung der Infrastruktur für beide Systeme liegen die Kosten bei 9,1ct/plkm (Tram) und 8,0ct/plkm (Bus). Beides ist meilenweit entfernt von den posaunten „dreifachen Kosten“.

Die Kalkulation fußt natürlich weiter auf Annahmen – beispielsweise den im Wiesbadener Mobilitätsleitbild (im Vergleich mit anderen derartigen Untersuchungen) tendenziell geringen Infrastrukturkosten eines BRT-Systems. Auch, ob Elektrobusse tatsächlich 15 Jahre durchhalten, liegt außerhalb des aktuellen Erfahrungszeitraum.

Im Detail

Die Kalkulationsfehler sind im Einzelnen:

  • Fahrzeugkosten Straßenbahn
    Die aufgestellte Kalkulation unterstellt Straßenbahn-Kosten von 6 Mio Euro pro Fahrzeug und übernimmt damit den (bereits korrigierten) Fehler des Wiesbadener Kurier. Tatsächlich werden die 35-Meter-Züge weiter aber mit drei Millionen Euro kalkuliert. Und ein Blick nach Dresden zeigt: dieser Wert ist gar nicht so unrealistisch. Die 30 neuen Dresdener Züge kosteten bei gleicher Breite und einer Länge von 45 Metern 4,2 Millionen Euro pro Stück – inklusive 24 Jahre Wartung (!).
  • Fahrzeugkosten Elektrobus
    Die Kalkulation der Firma TransCare legt Fahrzeugkosten von 350.000 EUR pro Bus zugrunde. Der Preis ist dabei (wie im Original beschrieben) als Durchschnittspreis zwischen Gelenk- und Solo-Elektro-Bus zu verstehen. Das Problem: Elektrobusse sind deutlich teuer. Ein Solobus liegt bei derzeit ca. 550.000 EUR, ein Elektro-Gelenkbus zwischen 700.000 und 800.000 EUR. Zum Vergleich: In beiden Fällen kostet ein heutiger Dieselbus knapp die Hälfte.
  • Infrastrukturkosten Bus
    Die Kalkulation legt die „Infrastrukturkosten“ der Busvariante mit 1 Mio EUR pro Kilometer zugrunde. Eine dauerhaft brauchbare Businfrastruktur kostet aber deutlich mehr: Die Betonfahrbahn ist teuer als der Asphalt und auch bei einer Betonfahrbahn muss (zumindest, wenn es richtig gemacht wird) das darunter liegende Leitungsnetz überarbeitet werden. Und so kostet die Infrastruktur für Busse – je nach Ansatz und Umsetzung – zwischen 5 und 15 Millionen Euro pro Kilometer. (Auch fehlen in der Kalkulation auf der Busseite Marketing- und Baunebenkosten.)
  • Buskapazität
    Der vorausgehenden Kalkulation folgend werden hier immer noch 140 Personen pro Gelenkbus und 100 Personen pro Solobus zugrunde gelegt. Diese sind – wir legen das seit Jahren immer wieder dar – drastisch überhöht.
  • Taktung und Doppeltraktion
    Die erneuerte Kalkulation übernimmt außerdem die Fehler der vorherigen: Weder die Doppeltraktion der CityBahn noch die geplante Taktung werden berücksichtigt. Beides verzerrt das Ergebnis zugunsten des Busses.



Quellen

Quellen
1 Diese seien hier aufgezählt – in dem Originalartikel findet ihr eine entsprechende Excel-Tabelle und könnt die Zahlen im Detail selbst nachvollziehen.

Fakt oder Fiktion: Verdreifachung der Fahrzeugkosten?

Die CityBahn-Diskussion und die Geschichte einer falschen Zahl – die #BIMitbestimmung und deren fehlende #QuellenKritik.

Die Diskussion um die CityBahn in Wiesbaden krankt an vielen Stellen. Eine davon ist die vollkommen unkritische Übernahme und Weitergabe von Informationen und Zahlen, die mit etwas Abstand zumindest zu Nachfragen führen sollten. Wenn die fragliche Zahl aber ins eigene Argumentationsschema passt, wird diese allzubereitwillig weiterverarbeitet und verbreitet – in dem konkreten Beispiel durch die @BI Mitbestimmung.

In den letzten Tagen beleuchtete der Wiesbadener Kurier in einer Reihe Artikel die Fakten rund um die CityBahn. In einem Artikel ging es – wie sollte es auch anders sein – um die Kosten. Dass sich die geschätzten Baukosten durch neue Route und Co veränderten, ist wenig überraschend.

Im Bereich der Fahrzeugkosten aber wartete eine Überraschung – diese, so der Kurier, hätten sich gegenüber der bisher veröffentlichten NKU verdoppelt: Statt drei Millionen Euro pro Fahrzeug sollten es nun sechs Millionen sein. Dankbar wurde diese (vermeintliche) Kostenerhöhung seitens der BI Mitbestimmung aufgegriffen, die diese mit einem noch früheren Planungsstand verglich (in dem 26 statt 38 Fahrzeuge geplant waren) und kam zu dem Ergebnis: Die Fahrzeugkosten haben sich nahezu verdreifacht!

Die Kostenaufstellung im Wiesbadener Kurier – links vor der Korrektur, rechts danach.

Die Verdoppelung des Stückpreises von drei auf sechs Millionen Euro erklärte die BI Mitbestimmung damit, dass (a) breitere Fahrzeuge bestellt werden sollen und (b) die Fahrzeuge nun nicht mehr 30 Meter, sondern 35 Meter lang seien. Abgesehen davon, dass das erste Argument falsch ist (bereits in der Machbarkeitsstudie ist von 2,65-Meter-breiten Fahrzeugen die Rede) – erklären diese beiden Veränderungen tatsächlich eine Verdoppelung?

Kurze Antwort: Nein. Und nach dieser Erkenntnis gibt es zwei Möglichkeiten: Man geht der Ursache auf den Grund und stellt fragen. Oder aber man nimmt den Weg der BI Mitbestimmung – akzeptiert diese Zahl und gibt sie unkritisch und unhinterfragt weiter, um ein paar reißerische Überschriften zu fabrizieren.

Dabei hätte eine kurze Google-Suche schon gezeigt: Hier kann was nicht stimmen. Dresden beispielsweise bestellte letztes Jahr 30 neue Züge – 2,65 Meter breit, 45 Meter lang und aufgrund der außergewöhnlichen Spurweite in Dresden (1.450mm) keine Stangenware. Stückkosten: 4,2 Millionen Euro – inklusive 24 Jahre Wartung (!).

Ein simples Nachfragen beim Wiesbadener Kurier und der Die CityBahn förderte schließlich zutage: Ein simpler Tippfehler – die Fahrzeuge kosten weiterhin 3 Million Euro das Stück. Der Kurier korrigierte den Fehler – die falschen Schlagzeilen der BI Mitbestimmung kursieren aber per Social Media und Newsletter weiter.