24.12. Mit der Tram durch das biblische Jerusalem

Wohl keine andere Straßenbahn führte beim Bau zu derartigen, nationalen und internationalen Diskussionen wie die Tram durch Jerusalem. Die hitzigen Auseinandersetzungen entbrannten aber nicht, weil ihre verkehrliche Notwendigkeit angezweifelt wurde. Nicht, weil sich Einwohner und Politik um das Jahrtausende alte Stadtbild sorgten. Auch nicht, weil die Straßenbahn neben weiteren Projekten zu einer Neuordnung des öffentlichen Raumes zugunsten von shared spaces führte.

Ultraorthodoxe, palästinensische Aktivisten, Schriftsteller, Sicherheitsmänner und Neueinwanderer, Juden, Moslems und Christen begegnen einem auf der Reise mit der Tram. Wer in den eigentümlichen Alltag Jerusalems einsteigen will, sollte die Strecke auf voller Länge abfahren, von West nach Ost, und zwischendrin immer wieder aussteigen.

aus: Jerusalems Linie 1, Jan Schapira

Die Linie 1 der Straßenbahn Jerusalem quert die Stadt auf knapp 14 Kilometern – durch jüdische Stadtteile, arabische Viertel und den palästinensischen Ostteil Jerusalems. Sie verbindet als verkehrliche Lebensader gesellschaftliche Gruppen, die unterschiedlicher nicht sein können. Die Bahn baut – im wahrsten Sinne des Wortes – Brücken. Die Straßenbahn verbindet vormals fremde Viertel und lässt so Jerusalem weiter zusammenwachsen, sagen die einen. Sie verhindert eine Zwei-Staaten-Lösung, weil man auf einer Straßenbahn keine Grenze hochziehen kann, sagen die anderen. Wegen der durchaus brisanten, geopolitischen Lage ist sie wohl auch die einzige Straßenbahn der Welt, die mit kugelsicheren Fenstern ausgestattet wurde.

Chords Bridge – Die „Harfe“. Die Brücke, eröffnet 2009, ist ausschließlich Fußgängern, Radfahrern und der Straßenbahn vorbehalten.
(Petdad, Jerusalem Chords Bridge, CC BY-SA 3.0)

Seit 2011 führt sie vom Herzlberg im Westen der Stadt über den zentralen Busbahnhof, die belebte Jaffa Straße mit dem beliebten Mahane Yehudamarkt und die Fußgängerzone zur Altstadt. Hier fährt sie direkt an der Jahrtausende alte Stadtmauer entlang, über das markanten Damaskustor und von dort aus weiter Richtung Norden. Knapp 150.000 Fahrgäste nutzen die Bahn, jeden Tag. In Doppeltraktion verkehren die Züge aktuell alle sechs Minuten. Der Bau der Bahn ging einher mit einer ganzen Reihe an Maßnahmen zur Aufwertung der Stadt: Entlang der Route wurden hunderte Bäume gepflanzt, Plätze umgestaltet und die ehemals stark vom Autoverkehr belastete Jaffa Road ist heute eine Fußgängerzone.

Die Jaffa Road, fast ein Jahrhundert lang, die wichtigste Autostraße Jerusalems, ist jetzt eine Fußgängerzone. Durchfahren wird sie nur noch von der Straßenbahn.

(VnGrijl from Warsaw, Poland, Jerusalem (11469175493), CC BY-SA 2.0)

Wenige Jahre nach der Eröffnung der Straßenbahn wird nicht nur die Strecke der Linie 1 (Red Line) verlängert, auch zwei weitere Linien (Blue Line und Green Line) sind aktuell im Bau und in der Ausschreibung. Sie binden nach ihrer Fertigstellung beispielsweise die Universität Jerusalem und das Regierungsviertel an. Die israelische Rechtsgrundlage für den Betrieb der Straßenbahn (SI 5350) ist, inklusive Signalbuch, übrigens eine Übersetzung der deutschen Bau- und Betriebsordnung Straßenbahn. (/rr + /ml)

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18.12. Mitten durchs UNESCO-Weltkulturerbe

Im November 1956 stellte die schottische Hauptstadt Edinburgh den Straßenbahnbetrieb ein. Ziemlich genau fünf Jahrzehnte später begann die Stadt damit, ein neues Straßenbahnnetz zu errichten. Die Route verläuft mitten durch den Stadtteil New Town – der gemeinsam mit dem Nachbarbezirk Old Town zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde.

Princes Street, eine belebte Shoppingmeile. (Dr Neil Clifton, Edinburgh tram, Princes Street, 13 September 2014, CC BY-SA 2.0)

Historische Architektur und ein einmaliges Stadtbild prägen die Innenstadt Edinburghs. Ungeeignet für eine Straßenbahn? Mitnichten. Die Fahrzeuge wurden besonders geräuscharm konzipiert und so gestaltet, dass sie sich auch optisch gut einfügen. Auch das Ziel, durch den ÖPNV-Ausbau insgesamt weniger Fahrzeuge in der Innenstadt zu haben, ist dem Weltkulturerbe zuträglich. Auch deshalb verbindet die Tram auch die Innenstadt direkt mit dem Flughafen.

Zwei Bahnen am Saint Andrews Square (tramlife 04 flickr photo by byronv2 shared under a Creative Commons (BY-NC) license )

Getrieben vor allem durch die Wirtschaftskrise Ende der 2000er verzögerten sich die Bauarbeiten; auch wurde nur ein Teil des geplanten Netzes realisiert. 2014, sieben Jahre nach Baubeginn, folgte die feierliche Eröffnung. Bereits im folgenden Jahr lagen sowohl Fahrgastzahlen als auch Einnahmen deutlich über den Prognosen – eine Verlängerung der Bahn um weitere sieben Stationen daher bereits beschlossen. Seit Juni 2018 wird auch über einen weiteren Ausbau in den Vorort Musselburgh nachgedacht– die Einfallstraßen aus dem 22.000 Einwohner-Ort versinken täglich im Stau.

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17.12. Ystyge, entrer, einsteigen! – Grenzenlos durch Basel

Bereits seit 1895 verkehrt DAS Tram durch Basel (in der Schweiz heißt es nicht „die Tram“, sondern „das Tram“) und ist seitdem das Mobilitäts-Rückgrat der Stadt. Auf insgesamt 13 Linien und 70 Kilometer Schienennetz werden Menschen an ihr Ziel gebracht.

Ihr besonderes Merkmal ist dabei das Überwinden von Grenzen. So existierte seit 1900 bis 1957 eine Verbindung nach St. Louis (F) und von 1919 bis 1967 eine grenzüberschreitende Linie zwischen Basel (CH) und Lörrach (D).

Grenzübergang Basel-Kleinhüningen – Weil am Rhein-Friedlingen mit Haltestelle “Weil am Rhein Grenze“ der Basler Tramlinie 8
(Andreas Schwarzkopf, Grenzübergang Basel-Kleinhüningen – Weil am Rhein-Friedlingen, CC BY-SA 3.0)

Aber auch zwischen den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft überwindet das Tram die Grenzen. Die Verantwortlichkeit dafür trägt die Baselland Transport (BLT; erkennbar an der gelb-roten Lackierung). Sie transportiert die Menschen aus den Vororten in die Stadt Basel und bildet das Bindeglied zwischen beiden Kantonen. Die BLT trägt dabei aber auch die Verantwortung für die am längsten noch im Betrieb befindliche internationale Tramverbindung der Welt: Seit 1986 ist französische Gemeinde Leymen direkt mit der Basler Innenstadt verbunden.

Seit den 2000ern wird die Idee eines internationalen Netzes weiterentwickelt. So wurde von 2008 bis 2014 die Linie 8 der Basler Verkehrsbetriebe (BVB; erkennbar an der grünen Lackierung) von Basel aus in die deutsche Gemeinde Weil am Rhein verlängert und ermöglicht insbesondere Pendlern und Shopping-Touristen einen einfacheren Übergang zwischen beiden Orten. Dies zeigt sich besonders am Wochenende, wenn die Basler und Baslerinnen in Massen zum Einkaufen in den Ort strömen. Die Linie 8 bringt sie dabei direkt vor die Türen der Geschäfte und entlastet so den Ort im Kampf gegen den jeden Samstag stattfindenden Verkehrsinfarkt.

Haltstelle „Burgfelderhof“ (Grenzübergang Saint-Louis/Basel); Fahrzeug der BVB (Smiley.toerist, Basel tramline 3 2018 3, CC BY-SA 4.0)

Gleiches schafft seit 2015 die Linie 3 der BVB. Sie verbindet seitdem wieder den Grenzort St. Louis mit Basel. Ein Ausbau bis zum Flughafen Euroairport Basel-Mulhouse-Freiburg ist für den Zeitraum von 2020 bis 2025 geplant.

16.12. Neue Straßenbahn für die größte Autofahrernation

Im Jahr 1947 fuhr die letzte Straßenbahn durch Oklahoma City (OKC), USA bevor sie dem großen amerikanischen Straßenbahnskandal zum Opfer viel. Damals wurden unter Führung des Automobilherstellers General Motors die Straßenbahnen in 45 amerikanischen Städten systematisch zerstört. Seit 1981 bauen US-amerikanische Städte wieder Straßenbahnen auf.

Am 14. Dezember vor zwei Jahren fand das Grand Opening der OKC Streetcar in Oklahoma City statt. Die Stadt feierte ein ganzes Wochenende und für die Bürger gab es Freifahrten bis Anfang Januar. Danach kostet eine Fahrt 1,00 USD.

(Kool Cats Photography over 9 Million Views from Edmond, OK, USA, OKC Streetcar (38923640550), CC BY 2.0)

Die Strecke ist ein Rundkurs von 7.4 km Länge. Die Fahrzeuge des amerikanischen Herstellers Brookville Equipment Co ermöglichen einen barrierefreien Zugang, genauso wie alle 22 Haltestellen barrierefrei gestaltet sind. Rechts eine Rampe, links Treppen. Fahrradfahrer können sich über Fahrradhalterungen in der Straßenbahn freuen.

Die Straßenbahn kann kurze Strecken ohne Oberleitung fahren und nutzt in einer Unterführung die Energie aus einer Batterie. Übrigens, die Motor City Detroit eröffnete 2017 eine Straßenbahn! (/cs)

10.12. Ihrer Zeit voraus: Freiburg

In grüner Hinsicht ist die sonnenverwöhnte Stadt im Breisgau dem Rest der Republik schon immer voraus. Während in den 60er Jahren allerorten die Stilllegung der bestehenden Linien forciert wurde und in Wiesbaden bereits vollzogen war, trieb Freiburg – gleichwohl auch gegen Widerstände vor Ort – Ausbau und Modernisierung seines Straßenbahnnetzes voran. Als die Einrichtung von Fußgängerzonen in Mode kam, verbannte die Stadt zwar den Autoverkehr aus der Gehmeile, nicht aber die Straßenbahn, die die Einheimischen liebevoll Hoobl nennen. Der Platz um den Bertoldsbrunnen in der Fußgängerzone ist bis heute der zentrale Knotenpunkt aller fünf Linien und zeigt anschaulich, wie die umweltfreundlichen Verkehrsteilnehmer sich den öffentlichen Raum einträchtig zu teilen vermögen. Die innerstädtische Streckenführung widerlegt übrigens auch den in Wiesbaden häufig vorgebrachten Einwand, eine Straßenbahn würde nicht in eine gewachsene Altstadt passen.     

Copyright Dr. Christopher Kleinheitz – Niederflurwagen der VAG unterwegs im autofreien Stadtteil Vauban auf Rasengleis

Ähnlich wegweisend war 1983, als andere Städte sich noch nicht vom Rennen um die autogerechteste Stadt lösen konnten, die Errichtung der Stühlingerbrücke, die einen großen Bogen zwischen zwei Stadtteilen über die Bahntrasse schlägt. Auch sie gehört von Beginn an ausschließlich Straßenbahnen, Radfahrern und Fußgängern, die von hier aus direkt auf die Bahnsteige gelangen. Doch die Stadtbahn geht auch in die Breite. Systematisch wurde das Liniennetz der Stadtbahn auf heute über 46 Kilometer erweitert, das nun auch Umlandgemeindenschnell und bequem mit der Stadt verbindet. 65 Prozent der Freiburger*innen wohnen in der Nähe einer Straßenbahnhaltestelle, Tendenz steigend.

Poudou99, Straßenbahn Freiburg Salzstraße, CC BY-SA 3.0

Auch was den Tarif betrifft, war Freiburg Vorreiter. 1984 beschloss der Stadtrat die Einführung der bundesweit ersten „Umweltschutz-Monatskarte“, mit einem Rabatt von einem Drittel. Die dadurch geringeren Einnahmen pro Karte wurden schlagartig wettgemacht durch einen Anstieg der Fahrgastzahlen um zwölf, im Jahr darauf bereits um 23 Prozent, die der Stadtbahn ein sattes Plus bescherten. Das Modell machte daraufhin Schule im ganzen Land. In der Zwischenzeit haben sich die Passagierzahlen der Stadtbahn auf aktuell rund 80 Millionen Fahrten pro Jahr schon beinahe verdreifacht.

Die Straßenbahn Freiburg durchfährt einige, enge Abschnitte. Hier: das Schwabentor. Smiley.toerist, Tram door poort in Freiburg, CC BY-SA 4.0

Investitionen in die Freiburger Straßenbahn kommen der Stadt also unmittelbar zugute und zahlen sich indirekt auch im Stadtsäckel aus. Zum Erfolg der Stadtbahn trägt sicher auch die stets zukunftsweisende Technik bei. So gehörte Freiburg zu den ersten drei Städten mit Niederflurbahnen. All das hat dazu beigetragen, dass in der Verkehrsnutzung der öffentliche Nahverkehr heute mit dem Anteil der Autoeigennutzung bereits gleichzieht. Wohingegen in Wiesbaden, einer Stadt vergleichbarer Größe, der Nahverkehrsanteil gegenüber dem Autoverkehr gerade einmal etwas mehr als die Hälfte ausmacht.

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04.12. – In der Geburtsstadt des Autos mit der Bahn unterwegs

Die Mannheimer Geschichte wurde schon immer vom Verkehr geprägt. In Mannheim wurde der elektrische Aufzug erfunden, Traktoren, Luftschiffe, Raketenflugzeuge – aber auch das Fahrrad, das Auto und der Führerschein als solches.1 Mannheim brüstet sich auch mit der Erfindung des Spaghetti-Eises. Aber das sei nur als Anekdote am Rande erwähnt.

Auch der öffentliche Nahverkehr in Mannheim zeichnet sich neben seiner bemerkenswerten Leistungsfähigkeit auch durch Mut zum Experimentieren aus. Mitte der 1970er Jahre verkehrte mit dem Aerobus ein Zwitter zwischen Bus und Seilbahn. In den 90ern wurde eine Strecke auf Spurbusse umgerüstet – also handelsübliche Busse, die durch zusätzliche, seitliche Rollen spurgeführt wurden. 2015 fuhren die ersten Akkubusse, geladen durch Induktion. All diese Ideen sind mittlerweile Geschichte. Eines blieb: Die Straßenbahn.

Die Haltestelle Abendakademie mit Blickrichtung Süden – im Hintergrund das Stadtschloss. Die unauffälligen Bordsteine im Haltestellenbereich sorgen für barrierefreien Einstieg.
(Jan Rehschuh, Streetcar Straßenbahn Tram Mannheim RNV Rhein-Neckar-Verbund 19, CC BY 3.0)

Das gemeinsam betriebene Straßenbahnnetz von Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg bringt es auf 25 Linien, 299 Kilometer Strecke, 190 Züge und eine halbe Million Fahrgäste – jeden Tag. Tendenz in allen Bereichen steigend. Neue Linien, neue Haltestellen, neue Fahrzeuge, neue Fahrgäste.

Hingucker in Mannheim ist die Fußgängerzone – die Planken. Im Zentrum der Innenstadt – der Quadrate – gelegen, bildet die Zone gleichzeitig die Shoppingadresse schlechthin. 1975 wurden die Planken zur Fußgängerzone. Obwohl der Einzelhandel Bedenken äußerte, dass weniger Autos gleich weniger Kunden bedeuten, beteiligen sich Handel und IHK konstruktiv an der Ausgestaltung der Planken und steuern freiwillig mehr als eine Million DM bei. Bereits ein halbes Jahr vor der Eröffnung werden die ersten, neuen Bäume gepflanzt – die Zone in den folgenden Jahrzehnten immer wieder erweitert (z.B. 1977, 1979, 2007, 2016).

Fußgänger, Radfahrer, Straßenbahnen, Bäume – alles da. Paradeplatz, Blickrichtung Norden. Hinten Rechts befindet sich ein Lidl – mit Haltestelle, aber ohne einen einzigen Parkplatz.
(Jan Rehschuh, Streetcar Straßenbahn Tram Mannheim RNV Rhein-Neckar-Verbund 12, CC BY 3.0)

Heute teilen sich Fußgänger, Radfahrer und acht Straßenbahnlinien die Fußgängerzone. Zentraler Umsteigeort der Bahnen ist gleichzeitig der Kern der Shoppingmeilen: Der Paradeplatz. Gleichzeitig fährt in den Quadraten kein einziger Linienbus – die Bahnen leisten hier alle Arbeit.

Auf den autofreien Straßen floriert der Einzelhandel. Beispiel Zentralitätskennziffer: Sie gibt an, wie stark der örtliche Einzelhandel überregionale Kunden anzieht. Ein Wert von 100 zeichnet ein ausgeglichenes Bild: Im Handel vor Ort wird genauso viel Geld ausgegeben, wie die Einwohner zur Verfügung haben. Bei Werten unter 100 gehen die Einheimischen auswärts shoppen, Orte mit Werten über 100 ziehen auswärtige Kunden an.

Der Marktplatz in Mannheim. Noch ist wenig los, im Hintergrund überholt ein Notarztwagen. Rechts der Haltestelle (hier nicht im Bild): Ein großer Supermarkt, der ohne Parkplätze auskommt.
(A tram stop at the Marktplatz in Mannheim, Germany flickr photo by Anguskirk shared under a Creative Commons (BY-NC-ND) license )

Mannheim belegt hier mit >150 den bundesweiten Spitzenplatz aller Städte über 200.000 Einwohner. Vereinfacht: In Mannheim setzt der Einzelhandel 50% mehr Geld um, als die Mannheimer Einwohner zur Verfügung haben. Die Stadt zieht also massiv Einkäufer aus dem Umland an. (Zum Vergleich: Mainz liegt bei 109, Wiesbaden bei knapp 112). Auf dem Mannheimer Marktplatz gibt es nicht nur rege besuchte Wochenmärkte – sondern auch einen großen Supermarkt. Und das ohne einen einigen Parkplatz, dafür aber mit Straßenbahnhaltestelle vor der Haustür.

Der gut besuchte Wochenmarkt auf dem Marktplatz. Im Vordergrund kreuzen Fußgänger die Gleise auf dem kurzen Weg zur barrierefreien Haltestelle. Unvorstellbar, würden die Leute hier mit Auto statt mit ÖPNV anreisen.
(Photo: Andreas Praefcke, Mannheim Rathaus Marktplatz 2005, CC BY 3.0)

Neben der massiven Erweiterung des Straßenbahnnetzes verfolgt die Stadt Mannheim nun auch das Ziel, den Lieferverkehr aus der Fußgängerzone rauszuhalten. Dazu wurden designierte Lieferzonen eingerichtet – die Lieferfahrzeuge halten nicht mehr in der Fußgängerzone direkt, sondern auf Parallel- oder Seitenstraßen. Die letzten Meter werden dann per Sackkarre oder Lastenameise zurückgelegt werden. Poller und erhöhte Polizeipräsenz sorgen hier für die Umsetzung.

Quellen

Quellen
1 Mannheim brüstet sich auch mit der Erfindung des Spaghetti-Eises. Aber das sei nur als Anekdote am Rande erwähnt.

02.12. Grenzüberschreitend: Mit der Straßenbahn in die „Capitale de Noël“

Straßenbahnen verbinden, auch über Grenzen hinweg. Seit 2017 kann man von Kehl (rund 35.700 Einwohner) im Westen Baden-Württembergs über den Rhein direkt ins Zentrum von Straßburg (rund 277.000 Einwohner) fahren.

Letztes Jahr pünktlich zu Beginn des Weihnachtsmarktes in der elsässischen Metropole, die sich selbst als Weihnachtshauptstadt („Capitale de Noël“) bezeichnet, wurde die Strecke dieses Jahr von der bisherigen Endstelle am Kehler Bahnhof bis zum Rathaus in der Stadtmitte verlängert. Montag bis Freitag nutzten zwischen 4.000 – 5.500 Fahrgäste täglich die neue Verbindung. Schon im ersten Monat verdoppelten sich die Fahrgastzahlen gegenüber der vorher bestehenden Busanbindung. So hat die Straßenbahnanbindung Kehls vor Beginn der Corona-Pandemie auch zur Belebung des dortigen Einzelhandels beigetragen, da viele Straßburger wegen der günstigen Einkaufsmöglichkeiten nach Kehl kammen. Auch die Wirtschaft profitiert von der neuen Linie. Während Arbeitsplätze in Straßburg rar sind, gibt es in Kehl und dem angrenzenden Ortenaukreis einen Arbeitskräftemangel. Durch die auch für Pendler attraktive Straßenbahnverbindung konnten viele dieser Stellen besetzt werden.

Eine Straßenbahnverbindung zwischen Kehl und Straßburg bestand schon einmal. Die politische Situation zwischen Deutschland und Frankreich nach dem ersten Weltkrieg beendete aber den Betrieb der 1898 eröffneten Straßenbahnverbindung. Das endgültige Aus kam dann 1944, als die Brücke zwischen Straßburg und Kehl gesprengt wurde. Aber auch in Straßburg endete 1960 der Straßenbahnbetrieb. Dem damaligen Trend folgend kaufte man lieber neue Busse, als in die Straßenbahn zu investieren. In den folgenden Jahren wurde der zunehmende Individualverkehr und die sich damit verschlechternde Luftqualität aber immer mehr zum Problem. Ein leistungsfähiges und attraktives Verkehrsmittel musste her. Nachdem sich eine automatisch betriebene U-Bahn als zu teuer erwies, fasste das Stadtparlament von Straßburg 1989 den Grundsatzbeschluss zur Wiedereinführung der Straßenbahn. Fünf Jahre später konnte bereits die erste Linie eröffnet werden. Heute bilden die sechs Straßenbahnlinien die Hauptachsen des ÖPNV-Angebots, das durch 28 Buslinien ergänzt wird.

Nach Nantes und Grenoble war Straßburg die dritte französische Stadt, die nach Stilllegung die Straßenbahn wieder einführte. Seitdem folgten 21 französische Städte ihrem Vorbild. Mit der alten Tram hat die neue Straßenbahn aber nicht mehr viel gemein. Denn man nutzte nicht nur den technischen Fortschritt, sondern legte auch viel Wert auf gutes Design und eine optimale Einbindung in das Stadtbild. Wo früher Asphalt dominierte, wurde der Straßenraum neu aufgeteilt und Platz für die auf Rasengleis verkehrende Straßenbahn und neue Bäume geschaffen. Fast ohne Werbung und in eleganter Lackierung in weiß, braun- und grünmetallic sind die modernen Bahnen ohne Stufen heute aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken.

23.12. Winterliches, autofreies Lebensgefühl in Helsinki

Helsinki ist bekannt für seine effizienten und fortschrittlichen öffentlichen Verkehrsmittel und die Straßenbahnen und Züge der Stadt sind der „grüne Weg“ durch die Stadt. Die grün-gelben Straßenbahnen gehören bereits seit 1891 zum Stadtbild Helsinkis. Die Straßenbahn ist das Hauptverkehrsmittel in der Innenstadt.

Die traditionell grün-gelben Waggons mit ihrer Schmalspur sind aus dem Stadtbild nicht weg zu denken. Die Helsinkier lieben ihre Straßenbahn, die 12 Linien tagsüber mindestens im 10 Minuten Takt verkehrt und 42 km lang ist. Die Straßenbahnen sind eins der wichtigsten Wahrzeichen der finnischen Metropole! T-Shirts und andere Souvenirs mit den Abbildungen des beliebtesten Verkehrsmittels in Helsinki sind auch bei Touristen sehr gefragt. 

Links Bikesharing, rechts Außengastronomie, in der Mitte die Tram.

(419, Helsinki flickr photo by nigelmenzies shared under a Creative Commons (BY-NC-ND) license )

In Zukunft wird das Liniennetz weiter ausgebaut, wodurch die Straßenbahn eine noch wichtigere Rolle einnehmen wird. So werden die neuen Stadtteile Kalasatama und Jätkäsaari, die zurzeit in ehemaligen Hafenarealen gebaut werden, mit der Tram erschlossen. Weitere neue Strecken sind in Planung. Die wichtigste davon wird Helsinki mit der zweitgrößten finnischen Stadt Espoo, die sich einige Kilometer westlich der Metropole befindet, verbinden.

Die günstigste Stadtrundfahrt kann man übrigens auch mit der Straßenbahn unternehmen. In einer acht-förmigen Schleife fährt die Line 2 quer durch Helsinki und kehrt nach einer Stunde an den Startpunkt, dem Senatsplatz, zurück. Dabei fährt die Straßenbahn an allen wichtigen Sehenswürdigkeiten vorbei. Zum Beispiel einigen herausragenden Bauten moderner Architektur wie der National-Oper und dem Kiasma Museum für zeitgenössische Kunst. (/ak)

Straßenbahn der Linie 4 auf einer Allee. Im Vordergrund: Rasensteine. Die Strecke ist notfalls für Fahrzeuge befahrbar und jederzeit für Fußgänger zu kreuzen.

(Tram route #4 in Helsinki flickr photo by Paarma shared under a Creative Commons (BY-NC-ND) license )

Helsinkis Verkehr ist im Umbruch: Neben den erwähnten Erweiterungen des Tramnetzwerkes plant die Stadt derzeit eine Brücke zwischen dem Stadtzentrum und der östlich gelegenen Insel Laajasolo. knapp einen Kilometer lang. Die Brücke ist ausschließlich für die Tram, Fußgänger und Radfahrer vorgesehen – für Autos bleibt weiter der knapp 10 Kilometer lange Weg über bestehende Straßen. Daneben baut die Stadt drei von sieben Stadtautobahnen zurück – auf den freiwerdenden Bereichen werden Wohngebäude für zehntausende Menschen, Parks, Freizeiteinrichtungen gebaut – und natürlich eine Straßenbahn. Ausgesprochenes Ziel der Stadt: Jedem Einwohner ein Leben ohne eigenes Auto ermöglichen.

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21.12. Der flache ULF in Wien

Die Wiener Straßenbahn gehört zu den 5 größten Straßenbahnbetrieben der Welt. Sie füllt die Lücke zwischen dem Wiener Busverkehr und der recht jungen erst 1976 eröffneten Wiener U-Bahn. Die Stadt Wien hat sich nach dem ersten Weltkrieg mit großem Erfolg um die sozialen Belange der Bevölkerung gekümmert. Dazu zählt neben dem städtischen Wohnungsbau mit hohem Anteil geförderter Wohnungen auch die Verkehrspolitik. Darum beträgt der Anteil des öffentlichen Nahverkehrs im sogenannten Modal Split 39%, während der KFZ-Verkehr nur 27% ausmacht, d.h. fast umgekehrt wie in Wiesbaden. 2016 wurden von der Wiener Straßenbahn 305,8 Millionen Passagiere auf 28 Linien transportiert.

Rechts Flexity D 301 Linie 67 Fahrtrichtung Otto Probst Platz neben ULF. Man erkennt den sehr niedrigen Bahnsteig, der bei beiden Fahrzeugen für barrierefreien Einstieg genügt.
(Flexity by Manfred Helmer (c) bildstrecke.at)

Einen besonderen Wiener Rekord hält ULF. Die Abkürzung steht für „Ultra Low Floor“ und meint Niederflurfahrzeuge in Wien. Diese im gesamten Innenraum stufenfreien Züge haben eine Einstiegshöhe von nur 18 cm (Weltrekord), so dass schon höhere Bordsteine für einen barrierefreien Einstieg genügen. Im Gegensatz zu Bussen braucht es dafür weder ein langsames sorgfältiges Heranfahren, noch Kippen des Wagens oder Ausklappen einer Rampe, geht also einfach und schnell. Für höhere Bahnsteige ist der gesamte Zug höhenverstellbar.

Flexity D 301 Linie 67 Fahrtrichtung Otto Probst Platz

(Flexity D 301 by Manfred Helmer (c) bildstrecke.at)

Der bis auf Weiteres letzte ULF wurde 2017 in Dienst gestellt. Derzeit wird ULF durch neue Züge des Typs Bombardier Flexity 2 ergänzt, die den restlichen Fuhrpark schrittweise ersetzen sollen. Der erste neue Zug fuhr fahrplanmäßig am 6. Dezember 2018. (/ws)

20.12. Von der Vergangenheit in die Zukunft

Wiesbadens Partnerstadt Wrocław, auch bekannt als Breslau, in der polnischen Woiwodschaft Niederschlesien ist mit knapp 650.000 Einwohnern gut  doppelt so groß wie die hessische Landeshauptstadt.

Der aus Berlin stammende Johannes Büssing erhielt von der Stadt Breslau im Jahre 1876 eine Konzession zum Bau und Betrieb einer Pferdestraßenbahn. Bereits vier Monate später wurde diese Konzession aber an die „BSEG – Breslauer Straßen-Eisenbahn-Gesellschaft“ übertragen, die 1877 die erste Pferdebahnstrecke in Betrieb nahm.
Im Jahr 1900 hatte die BSEG 140 Wagen, die von 524 Pferden gezogen wurden und so 15,4 Mio. Fahrgäste beförderten.

Da aber bereits 1892 die „ESB – Elektrische Straßenbahn Breslau“ gegründet und die erste elektrische Straßenbahnstrecke 1893 in Betrieb genommen wurde, war es dennoch erst 1906 soweit, dass die Pferdestraßenbahn ihren Betrieb einstellte. Die elektrische Straßenbahn von 1893 war im Übrigen auch die erste ihrer Art auf dem heutigen polnischen Staatsgebiet.

Als weiteres Straßenbahnunternehmen wurde am 6. August 1901 die „Städtische Straßenbahn Breslau (SSB)“ gegründet, welches im Besitz der Stadt war. Somit bestanden in Breslau drei unabhängig voneinander betriebene Straßenbahnnetze. Hierbei ist es interessant, dass auf dem Streckenabschnitt vom Bahnhof der Schmalspurbahn (Spurweite 750 mm) bis zur Stadtmitte die Straßenbahn die Gleise der Lokalbahn mitbenutzte, somit gab es auf dem Abschnitt drei Gleise. Diese Besonderheit blieb bis 1950 bestehen. Im Jahre 1900 beschloss der Gemeinderat der Stadt Breslau den Kauf der beiden privat geführten Straßenbahngesellschaften. 1911 konnte dieStadt den Anteil der Aktien an der BSEG erwerben und gliederte deren Linien indas eigene Netz ein.
Nachdem Ende des Ersten Weltkrieges waren in Breslau 85 Triebwagen und 150 Beiwagen vorhanden. Der Personalstand betrug 673 Mitarbeiter, welche 29,6 Millionen Passagiere beförderten. Am 1. Juni 1923 konnte von der Stadt Breslau auch das Streckennetz der ESB übernommen werden. Somit war die SSB der alleinige Betreiber in Breslau.

Breslau um 1906
(Sendker, Breslau Schweidnizer Strasse 1906, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons)

Die Straßenbahn in Breslau wurde im Zweiten Weltkrieg nahezu vollkommen zerstört. Sie litt an der Bombardierung der Stadt besonders stark („Festung Breslau“). Es dauerte jedoch nur bis zum 22. Juli 1945, bis die erste Straßenbahn wieder fuhr. Die nächsten Jahre waren vom Wiederaufbau geprägt. Es dauerte aber bis 1990, bis die letzte im Krieg zerstörte Strecke wieder aufgebaut war. 

Das nächste Unglück, welches über die Straßenbahn hereinbrach, war das Hochwasser von 1997, als große Teile des Streckennetzes zerstört wurden. Der Aufbau nach dem Hochwasser wurde auch zur Modernisierung der Strecken herangezogen.


Im Laufe der Geschichte gab es auch einige Kuriositäten auf Breslaus Schienen. So war etwa eine spezielle Linie für Postfracht vorhanden.
Güterwagen wurden mit der Straßenbahn gezogen und bis nach 1945 gab es sogar Krankentransportstraßenbahnen. Oder auch so genannte Sprengwagen, die nicht etwa explosives beförderten, sondern Wasser zum sprengen und reinigen der Straßen. Auch waren zeitweise „Kaffee auf Schienen“ oder Kinderkrippen unterwegs.

Der „Rondo Reagana“ – der zentrale Umsteigeknoten für Straßenbahnverbindungen in Breslau.

(Rondo Reagana flickr photo by Maciek Lulko shared under a Creative Commons (BY-NC) license )

Heute werden von den Städtischen Verkehrsbetrieben Breslau (MPK, Miejskie Przedsiebiorstwo Komunikacyjne) über 200 Straßenbahnen auf 22 Linien eingesetzt. Die Länge des Streckennetzes beträgt zurzeit ca. 260 km, wobei bereits weitere Ausbaupläne vorhanden sind. Auch läuft gerade die Ausschreibung über 87 weitere Straßenbahnfahrzeuge.
Auf den Schienen Breslaus finden sich 9 verschiedene Fahrzeugtypen von Konstal, Protram, Škoda, Pesa und Moderus – wovon die ältesten zwischenzeitlich fast 40 Jahre im Dienst sind.


Zusammen mit den über 300 Bussen befördern die fast 600 Straßenbahn- und 800 Busfahrer*innen im Jahr über 200 Millionen Fahrgäste. Ein weiterer Ausbau und die Modernisierung der Fahrzeuge und des Streckennetzes sind fest eingeplant. Die Erfolgsgeschichte von 125 Jahren elektrischer Straßenbahn in Breslau wird also weiter erfolgreich fortgeschrieben. (/jg)