Destruktive Strategien

Die Diskussion um die CityBahn wird dadurch erschwert, dass sie sich allzuoft von den Fakten loskoppelt – besonders häufig online. Dort geht es kaum mehr um konkret benannte Vor- und Nachteile, um Probleme und Lösungen, um Alternativen. Stattdessen bestimmen Polemik, verbaler Schlagabtausch bis hin zu Beleidigungen und Verleumdungen den Diskurs.

Die in Social Media leider oft zu beobachtende Verrohung der demokratischen Debatte scheint von einzelnen Straßenbahngegnern bewusst eingesetzt zu werden, um eine konstruktive inhaltliche Auseinandersetzung und Kompromissfindung zu sabotieren.

Hier zeichnet sich schon länger eine Strategie ab, die offensichtlich das Ziel verfolgt, mit Scheinargumenten, rhetorischen Tricks und persönlichen Angriffen von einer sachlichen Erörterung der Pros und Contras einer Straßenbahn oder von Mobilitätspolitik allgemein abzulenken. Eine Strategie, die offenbar das Ziel hat, zu polarisieren und das Diskussionsklima so zu vergiften, dass Menschen davon abgeschreckt werden, sich konstruktiv an dieser für Wiesbaden so wichtigen Debatte zu beteiligen.

Die wichtigsten Anti-Straßenbahn-Strategien

Um in den kommenden Monaten vor dem Bürgerentscheid damit besser umgehen zu können, stellen wir euch die markantesten Rhetoriktricks und stilistischen Fouls vor:

#1: Wer sich öffentlich Pro CityBahn positioniert, wird persönlich angegriffen.

Statt auf Ideen und Ansätze inhaltlich einzugehen, werden Befürworter und Ideengeber einfach auf einer persönlichen Ebene attackiert. Das traf in den vergangenen Monaten (unter anderem) Siegfried Huhle, Prof. Dr.-Ing. Volker Blees und Christa Gabriel.

Zum einen sollen dadurch die Standpunkte der Personen öffentlich entwertet werden – weil das auf argumentativer Ebene nicht gelingt, mit dem Mittel der persönlichen Diffamierung. Vorbeugend zielt diese Polemik auch darauf, schon im Vorfeld weitere Personen des öffentlichen Lebens davon abzuschrecken, sich für die CityBahn zu positionieren. Denn wer riskiert, zur Zielscheibe von öffentlichen Diffamierungen zu werden, äußert sich womöglich gar nicht erst.

Details finden sich hier: (weiterlesen)

#2: Es wird gezielt die Legende lanciert, die Bürgerinitiative Pro CityBahn sei aus öffentlichen Mitteln finanziert.

Wie kann unser Engagement am einfachsten entwertet werden? Richtig: Mit der Unterstellung, wir würden für dieses Engagement bezahlt, womöglich noch zu Lasten des Steuerzahlers.

Das Ziel ist klar: Wer bezahlt wird, dessen Argumente zählen nicht. Und wenn all die Straßenbahnbefürworter bezahlt würden, entwertet das nicht nur unseren Standpunkt. Es würde auch die eigene Legitimation der Gegner überhöhen- sozusagen als „einzig wahre Bürgerbewegung“ gegen einen vermeintlichen steuerfinanzierten Propagandaapparat. David gegen Goliath.

Die Frage „Und wer bezahlt euch dafür, dass ihr das sagt?“ ist mittlerweile leider Standard an Infoständen, im Netz und in Gesprächen. Dabei sind es gerade die Anti-Straßenbahn-Initiativen, die per Flugblatt vier- bis fünfstellige Spenden auf Privatkonten einwerben.

Details gibt es hier: (weiterlesen).

#3: Befürwortern der Straßenbahn werden erfundene oder überzogene Argumente in den Mund gelegt.

Klassiker der Rhetorik: Das Strohmann-Argument. Hier werden Straßenbahn-Befürworter fälschlich mit Aussagen zitiert, die übertrieben oder verzerrt überliefert sind. Diese fiktiven Erklärungen können dann umso leichter widerlegt werden. Damit entsteht der Eindruck eines argumentativen Sieges. Nur wurden die behaupteten Aussagen so nie getroffen.

Beliebte Strohmannargumente der Straßenbahngegner sind:

  • Die CityBahn sei ein Allheilmittel für sämtliche Verkehrsprobleme Wiesbadens.
  • Die CityBahn bringe ausschließlich Vorteile mit sich.
  • Die CityBahn sei alternativlos.
  • Straßenbahn-Befürworter seien Feinde des Autoverkehrs.

Die Ziele dieser Strategie sind einfach: In einem Scheingefecht wird die vermeintliche Gegenposition zerlegt, um die eigene Seite umso überlegener erscheinen zu lassen. Und um sich nicht auf eine echte Diskussion einlassen zu müssen, werden Aussagen schlicht erfunden oder verzerrt.

Details dazu gibt es hier: (weiterlesen)

#4: Innerhalb der eigenen Filterblase wird kein Widerspruch und kein offener Diskurs geduldet.

Großprojekte wie ein Straßenbahnbau sortieren betroffene BürgerInnen häufig in verschiedene Lager: Befürworter und Gegner, Aktivisten und Unentschlossene, Neugierige und Desinteressierte. Was aber notwendig folgen müsste, wäre eine den demokratischen Regeln folgende Debatte aller BürgerInnen – eine offene Diskussion in der Gesellschaft.

Mit dem Austausch von Argumenten wird zugleich ein Verständnis für die Position des Gegenüber geweckt, Pläne werden weiterentwickelt und mögliche Kompromisse erarbeitet. Unentschlossene werden so zu eigener Meinungsbildung animiert.

Der übliche, demokratische und mit Blick auf den Bürgerentscheid auch dringend notwendige Diskurs scheint aber unerwünscht. Das äußert sich auf vielerlei Arten, beispielsweise durch:

  • Systematisches Blocken von Befürwortern in den Sozialen Medien
  • Fehlen einer Kommentar- oder Feedbackfunktion auf der eigenen Homepage
  • Keine öffentliche Diskussionsveranstaltungen, Informations- und Themenabende, die ein Ventil in die eigene Echokammer öffnen könnten.

Mit Echokammer wird dabei das Phänomen beschrieben, dass viele Menschen in den sozialen Netzwerken dazu neigen, sich mit Gleichgesinnten zu umgeben und sich dabei gegenseitig in der eigenen Position zu verstärken. (…) Die Echokammer wächst und damit auch der Eindruck, man sei selbst keine Minderheit, sondern eine gesellschaftlich relevante Mehrheit.

Jens Berger: Willkommen in der Echokammer. 05. November 2015.

Neben der fortwährenden Zustimmung mit den eigenen Positionen bereitet diese Strategie zugleich den Boden für bewusst oder unbewusst gestreute Fehlinformationen und Ängste. Auf diese Weise halten sich bis heute, kaum widersprochen, die gerne kolportierte Märchen von Schotterbahndämmen in der Innenstadt oder einer kahlgerodeten Biebricher Allee. Öffentliche Foren oder Veranstaltungen, auf denen diese Mythen widerlegt werden könnten, werden daher bewusst vermieden.

UPDATE (25. Februar 2020): Nur wenige Stunden nach Veröffentlichung dieses Artikels wurden wieder einige, kritische Stimmen auf der FB-Seite der BI Mitbestimmung geblockt und deren Kommentare entfernt. Eindeutiger hätten sie uns gar nicht Recht geben können.

#5 Mithilfe lokalpolitischer Ereignisse wird allgemeines Misstrauen gegen „die da oben“ gesät.

Mit Blick auf politische Verstrickungen, Vetternwirtschaft und dubiose Deals hat die Stadt Wiesbaden in jüngter Zeit eher unrühmliche Schlagzeilen eingefahren. Ewald Hetrodts Buch Die Unverfrorenen inclusive dazugehörigem Theaterstück belegen dies besonders eindrücklich. Im Anschluss prägten auch Unstimmigkeiten bei der Auftragsvergabe für die Öffentlichkeitsarbeit der ESWE Verkehr oder der jüngste, anhaltende Skandal um die AWOs Wiesbaden und Frankfurt die lokalpolitische Agenda.

Da scheint es sich offenbar geradezu anzubieten, diese Vorkommnisse auch gegen die Straßenbahn zu instrumentalisieren. Schließlich haben die da oben ja bewiesen, dass alles, was von oben kommt, Ergebnis einer politischen Klüngelei ist – und damit Ergebnis persönlicher Interessen der Entscheidungsträger. Erneutes, durchsichtiges Ziel: Auf keinen Fall über Inhalte diskutieren.

Details gibt es hier: (weiterlesen).

Übergeordnetes Ziel: Die Polarisierung

Die konsequente Torpedierung eines konstruktiven Dialogs, überspitzte Strohmannargumente, persönliche Angriffe auf öffentliche Fürsprecher: Das alles verfolgt letztlich dasselbe Ziel: die Polarisierung des Wiesbadener Bürgertums. Eine stark polarisierte Straßenbahn- bzw. Verkehrsdiskussion liegt aus zweierlei Gründen im Interesse der Anti-Straßenbahn-Front.

  • Je entgegengesetzter Lager von Befürwortern und Gegnern sind, desto geringer sind die Möglichkeiten für einen fairen uns konstruktiven Austausch – keine Gespräche, keine Diskussionen und somit auch keine Kompromissfindung.
  • Darüberhinaus – und das ist der womöglich gravierendere Effekt: Auf den Großteil der Wiesbadener wirken solchermaßen provozierende Grabenkämpfe eher abschreckend. Die Bürger, die sich noch nicht mit dem Thema näher beschäftigt haben oder noch unentschlossen sind, sehen nur: „Da bekriegen sich zwei Lager, darauf habe ich kein Bock, ich beschäftige mich nicht mit dem Thema.“

Im Sinne einer Verhinderung um jeden Preis ist dieses Vorgehen natürlich effektiv – lösungsorientiert ist es allerdings nicht. Wer an einer strukturellen Änderung der Wiesbadener Verkehrspolitik interessiert ist, (ob mit oder ohne Straßenbahn), wird durch diese Art der Auseinandersetzung abgeschreckt und veranlasst, sich enttäuscht zurückzuziehen.

Wieso das alles?

Der kommende Bürgerentscheid wird nicht vom gesamten Wiesbadener Wahlvolk entschieden – sondern von denen, die am entscheidenden Tag auch zur Urne gehen. Und das dürfte – leider – bestenfalls nur jeder Dritte sein.

Je weniger Bürger sich mit dem Thema näher beschäftigen und damit eine eigene Meinung dazu bilden, desto weniger werden am Wahltag ihre Stimme abgeben. Das widerum spielt den Ablehnern in die Hände. Gegenbewegungen haben traditionell ein höheres Mobilisisierungspotenzial, eine geringe Wahlbeteiligung kommt stark mobilisierenden Minderheiten entgegen. Auch, wenn ihr Rückhalt in der Gesamtbevölkerung womöglich überschaubar ist.

Voting isn’t marriage, it’s public transport.
You’re not waiting for „the one“ who’s absolutely perfect: you’re getting the bus, and if there isn’t one to your destination, you don’t not travel – you take the one going closest.

Debbie Moon

Jeder hat seine eigenen Vorstellungen und Bedürfnisse zum Thema Mobilität. Daher wird der Verkehr im künftigen Wiesbaden notwendigerweise nur in Kompromissform gestaltet werden können. Ein Ausgleich von Interessen, ein Abwägen von Vor- und Nachteilen, eine Entscheidung für die angesichts der Rahmenbedingungen besten Variante.

Damit wird auch offensichtlich, wieso die Anti-Straßenbahn-Bewegungen bestrebt sind, konstruktiven Austausch zu boykottieren und eine starke Polarisierung zu provozieren. Kompromisse sind auf diese Weise ausgeschlossen; die schweigende Mitte bleibt so der Urne fern, lautstarke Minderheiten reklamieren die Meinungsführerschaft für sich.

Ob in persönlichen Gesprächen mit Bekannten, in Social Media, an Infoständen oder auf Veranstaltungen: Wer die künftige Mobilität in Wiesbaden mitgestalten oder zumindest Gehör finden will, muss Argumente austauschen und sich konstruktiv einbringen. Dazu ist das ständige Hinterfragen unumgänglich: Sind wir noch auf der Sachebene? Oder entfernen wir uns bereits davon – und wenn ja, wieso?

Das (Er)Kennen der oben genannten Strategien ist dafür schon der erste Schritt. Simple Fragen können dann den Weg zurück bereiten – etwa diese:

  • Was genau sind denn bei Argument X deine Bedenken?
  • Wie stellst du dir eine Alternative vor?
  • Was wäre deine Lösung und an welchen Stellen ist die besser?

Auf diesem Weg würde Wiesbadens Verkehrspolitik nicht mit einer Kehrtwende dem polemischen Dauerbeschuss ausweichen, sondern an ein Ziel gelangen, das im Austausch sachlicher Argumente und Fakten als die bestmögliche Lösung ermittelt wurde. 

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