12.12. – Caen: Von der Gummibahn zur Straßenbahn

Sie ist das neue „Ungeheuer von Loch Ness“: Die chinesische Straßenbahn ohne Schienen, die immer mal wieder zu nachrichtenschwachen Zeiten in den Medien auftaucht. Neu oder gar bahnbrechend ist die Straßenbahn auf Gummireifen nicht, wie unser heutiger Blick auf die französische Stadt Caen zeigt. Dort fuhr 15 Jahre lang ein als „Transport sur voie réservée“ (TVR) bezeichneter spurgeführter Doppelgelenkbus. Aufgrund anhaltender Probleme wurde Caen mit diesem System aber nie glücklich. Nach dem Motto „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“ entschied sich die Stadt 2014 den Betrieb der TVR-Spurbusse einzustellen und durch eine richtige Straßenbahn zu ersetzen. Am 27. Juli 2019 eröffnete Caen seine neue Straßenbahnstrecke. Damit ist Caen die 23. Stadt in Frankreich, die seit 1985 die Straßenbahn wieder eingeführt hat. 

Spurbus und Straßenbahn
Zwei Jahre liegen zwischen diesen beiden Aufnahmen am Bahnhof von Caen: Links der Spurbus TVR und rechts die Straßenbahn (Fotos linkes Bild: Cramos, TVR n°521 de Caen à la gare SNCF par Cramos, CC BY-SA 4.0, rechtes Bild: Bernhard Kußmagk)

Bahn ohne Schienen: Versprechen und Wirklichkeit

Um zu erklären, wie es zu diesem Sinneswandel kam, muss man etwas zurückblicken. Schon 1937 wurde in Caen der Straßenbahnbetrieb zugunsten des Auto- und Busverkehrs stillgelegt. Nach dem Krieg wurde die Stadt mit breiten Straßen autogerecht ausgebaut. Ende der 1980er Jahre merkte man in Caen, dass ein leistungsfähigeres Nahverkehrssystem als der Bus gebraucht wurde. Zur gleichen Zeit testete die Firma Bombardier gerade ihr TVR-System mit spurgeführten Doppelgelenkbussen. Wie bei der chinesischen Straßenbahn ohne Schienen versprach der Hersteller ein System das die Vorteile der Straßenbahn mit geringeren Investitionskosten erreicht. Statt zwei Schienen wurde nur eine Schiene zur Spurführung benötigt. Das Gewicht des Fahrzeugs ruht auf herkömmlichen Busreifen. Als Vorteil wurde auch die Flexiblität gepriesen, da das Fahrzeug den spurgeführten Bereich verlassen kann und dann vom Fahrer gelenkt wird. Voraussetzung dafür ist aber entweder ein separater Dieselantrieb oder eine bei Oberleitungsbussen gebräuchliche doppelpolige Oberleitung. Auch wenn es aus Imagegründen als Straßenbahn bezeichnet wurde, war die „Tramway sur Pneus“ eher ein spurgeführter Oberleitungsbus.

Der Spurbus TVR, wie er bis Ende 2017 in Caen fuhr. Deutlich ist vorne zu erkennen, dass er auf normalen Busreifen fährt und immer die selbe Spur des Straßenbelags belastet. (Bild: Caen flickr photo by Patrick Müller shared under a Creative Commons (BY-NC-ND) license)

Offenbar sind gerade in Städten, die sich früh von der Straßenbahn getrennt haben, die Vorbehalte gegenüber diesem Verkehrsmittel besonders groß. Während im 300 Kilometer entfernten Nantes bereits 1985 wieder die Straßenbahn eingeführt wurde, setzten die Stadtväter von Caen auf den neuen Wunderbus. In Ihrer Euphorie schlugen sie Warnungen vor dem noch nicht ausgereiften System und den langfristigen Folgen in den Wind 1http://www.fea-frauenfeld.ch/caen—vom-pneutram-zum-richtigen-tram.html. Kurzfristige Einsparungen, wie der Verzicht auf Eisenschienen, mussten aufgrund von mittelfristig auftretenden Kosten, wie der Beseitigung von tiefen Spurrillen im Straßenbelag teuer bezahlt werden 2 https://de.wikipedia.org/wiki/TVR_Caen. Bei einem reinen batteriegetriebenen System wie dem chinesischen Spurbus, müssten auch alle paar Jahre die hochpreisigen Batterien getauscht werden. Ein weiterer Nachteil von Spurbussystemen ist die fehlende Möglichkeit die Kapazität durch längere oder zusammengekuppelte Fahrzeuge zu erweitern, da die Länge gesetzlich begrenzt ist. Schließlich macht man sich mit einem speziellen System von einem Hersteller abhängig. Alle diese Probleme machten dem Spurbus in Caen und einem ähnlichen System in Nancy zu schaffen. Die Abhängigkeit von einem Hersteller erwies sich als fatal, als Bombardier 2004 mangels Erfolg die Produktion seiner 25 Meter langen TVR-Busse einstellte und somit auch keine Ersatzteile mehr lieferte. Vier Jahre nach Inbetriebnahme zeichnete sich damit schon ab, dass die Gummibahn in Caen nicht von Dauer sein würde. 

In 18 Monaten zur echten Straßenbahn

In Caen hat man für den spurgeführten Bussen viel Lehrgeld bezahlt. Ende 2017 fuhr der letzte Spurbus, anschließend wurden die Anlagen abgebrochen um Platz für eine richtige Straßenbahn zu machen. Die verbliebenen Spurbusse wurden nach Nancy abgegeben, wo sie als Ersatzteilspender dienen bis auch dort eine richtige Straßenbahn fährt. Auch in Caen bewahrheitete sich die Aussage, dass die reine Bauzeit einer neuen Straßenbahnstrecke „selten länger als anderthalb Jahre dauert“ 3 GRONECK, Christoph (2003): Neue Straßenbahnen in Frankreich. EK-Verlag, S.17. Denn bereits am 27. Juli 2019 konnte das neue 16,2 km langes Tramnetz mit 3 Linien eröffnet werden. Die Bauzeit für die Spurbustrasse war seinerzeit mit 3 Jahren doppelt so lang gewesen.

Straßenbahn in Caen - historisches Umfeld
Die neue Straßenbahn von Caen passt ins historische Umfeld des Place Saint-Pierre. Ein Straßenbahnzug hat das Fassungvermögen von 150 durchschnittlich besetzter Pkw (Foto: Bernhard Kußmagk)

In Frankreich ist die Straßenbahn nicht nur ein Verkehrsmittel um bequem von A nach B zu kommen. Mit dem Bau der Strecke werden auch Stadträume aufgewertet. Da sich Straßenbahnschienen mit den verschiedensten Materialien – wie Steinplatten, Pflasterungen oder Vegetation – kombinieren lassen, gibt es zahllose Möglichkeiten zur Integration ins Stadtbild. So ist in Caen die Hälfte der Strecke jetzt als Rasengleis ausgeführt. Auch die Straßenbahnwagen, mit ihrem schicken Design und in Frankreich fast immer ohne Werbung, dienen nicht nur der Aufnahme der Fahrgäste sondern auch der Identifikation der Bürger mit ihrer Stadt. Wie in vielen anderen französischen Städten konnten daher auch die Bürger von Caen über das Design der neuen Straßenbahnen abstimmen4http://www.tramway.at/caen/caen.html.

Straßenbahn Caen Wohnbebauung
Mit ihrer Rasentrasse fügt sich die neue Straßenbahn von Caen auch in Wohnumfeld ein. Hier aufgenommen an der Avenue de la Grande Cavée, westlich der Endhaltestelle Hérouville Saint-Clair (Foto: Bernhard Kußmagk)

Kein großer Preisunterschied

War die Straßenbahn auf Stahlrädern jetzt wirklich so viel teuer als die „Tramway sur Pneus“? Nein, denn für den Bau der Spurbusanlagen mussten schon im Jahr 2002 samt Fahrzeugen 227 Mio Euro bezahlt werden 5https://en.wikipedia.org/wiki/Caen_Guided_Light_Transit. Die 1,5 km längeren Straßenbahnstrecken kosteten 2018 rund 250 Mio. Euro, dazu kamen rund 51,5 Millionen Euro für die neuen leistungsfähigeren Straßenbahnwagen 6https://de.wikipedia.org/wiki/Stra%C3%9Fenbahn_Caen. In Frankreich betrug die Preissteigerung zwischen 2002 und 2018 rund 25% 7z.B. zu berechnen auf https://www.laenderdaten.info/Europa/Frankreich/Inflationsraten.php. Bei heutigem Geldwert lagen die Bau- und Fahrzeugkosten für den Spurbus also bei rund 283 Mio. Euro. Vergleicht man nun noch die Lebensdauer der beiden Systeme (15 Jahre für den Spurbus, mindestens 30 Jahre für die Straßenbahn) hat sich in Sachen Spurbus das Sprichwort „Wer billig kauft, kauft teuer“ bewahrheitet. 

Der Autor dankt Bernhard Kußmagk für die Bereitstellung und Nutzungsrechte des Bildmaterials.

04.12. – In der Geburtsstadt des Autos mit der Bahn unterwegs

Die Mannheimer Geschichte wurde schon immer vom Verkehr geprägt. In Mannheim wurde der elektrische Aufzug erfunden, Traktoren, Luftschiffe, Raketenflugzeuge – aber auch das Fahrrad, das Auto und der Führerschein als solches.1 Mannheim brüstet sich auch mit der Erfindung des Spaghetti-Eises. Aber das sei nur als Anekdote am Rande erwähnt.

Auch der öffentliche Nahverkehr in Mannheim zeichnet sich neben seiner bemerkenswerten Leistungsfähigkeit auch durch Mut zum Experimentieren aus. Mitte der 1970er Jahre verkehrte mit dem Aerobus ein Zwitter zwischen Bus und Seilbahn. In den 90ern wurde eine Strecke auf Spurbusse umgerüstet – also handelsübliche Busse, die durch zusätzliche, seitliche Rollen spurgeführt wurden. 2015 fuhren die ersten Akkubusse, geladen durch Induktion. All diese Ideen sind mittlerweile Geschichte. Eines blieb: Die Straßenbahn.

Die Haltestelle Abendakademie mit Blickrichtung Süden – im Hintergrund das Stadtschloss. Die unauffälligen Bordsteine im Haltestellenbereich sorgen für barrierefreien Einstieg.
(Jan Rehschuh, Streetcar Straßenbahn Tram Mannheim RNV Rhein-Neckar-Verbund 19, CC BY 3.0)

Das gemeinsam betriebene Straßenbahnnetz von Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg bringt es auf 25 Linien, 299 Kilometer Strecke, 190 Züge und eine halbe Million Fahrgäste – jeden Tag. Tendenz in allen Bereichen steigend. Neue Linien, neue Haltestellen, neue Fahrzeuge, neue Fahrgäste.

Hingucker in Mannheim ist die Fußgängerzone – die Planken. Im Zentrum der Innenstadt – der Quadrate – gelegen, bildet die Zone gleichzeitig die Shoppingadresse schlechthin. 1975 wurden die Planken zur Fußgängerzone. Obwohl der Einzelhandel Bedenken äußerte, dass weniger Autos gleich weniger Kunden bedeuten, beteiligen sich Handel und IHK konstruktiv an der Ausgestaltung der Planken und steuern freiwillig mehr als eine Million DM bei. Bereits ein halbes Jahr vor der Eröffnung werden die ersten, neuen Bäume gepflanzt – die Zone in den folgenden Jahrzehnten immer wieder erweitert (z.B. 1977, 1979, 2007, 2016).

Fußgänger, Radfahrer, Straßenbahnen, Bäume – alles da. Paradeplatz, Blickrichtung Norden. Hinten Rechts befindet sich ein Lidl – mit Haltestelle, aber ohne einen einzigen Parkplatz.
(Jan Rehschuh, Streetcar Straßenbahn Tram Mannheim RNV Rhein-Neckar-Verbund 12, CC BY 3.0)

Heute teilen sich Fußgänger, Radfahrer und acht Straßenbahnlinien die Fußgängerzone. Zentraler Umsteigeort der Bahnen ist gleichzeitig der Kern der Shoppingmeilen: Der Paradeplatz. Gleichzeitig fährt in den Quadraten kein einziger Linienbus – die Bahnen leisten hier alle Arbeit.

Auf den autofreien Straßen floriert der Einzelhandel. Beispiel Zentralitätskennziffer: Sie gibt an, wie stark der örtliche Einzelhandel überregionale Kunden anzieht. Ein Wert von 100 zeichnet ein ausgeglichenes Bild: Im Handel vor Ort wird genauso viel Geld ausgegeben, wie die Einwohner zur Verfügung haben. Bei Werten unter 100 gehen die Einheimischen auswärts shoppen, Orte mit Werten über 100 ziehen auswärtige Kunden an.

Der Marktplatz in Mannheim. Noch ist wenig los, im Hintergrund überholt ein Notarztwagen. Rechts der Haltestelle (hier nicht im Bild): Ein großer Supermarkt, der ohne Parkplätze auskommt.
(A tram stop at the Marktplatz in Mannheim, Germany flickr photo by Anguskirk shared under a Creative Commons (BY-NC-ND) license )

Mannheim belegt hier mit >150 den bundesweiten Spitzenplatz aller Städte über 200.000 Einwohner. Vereinfacht: In Mannheim setzt der Einzelhandel 50% mehr Geld um, als die Mannheimer Einwohner zur Verfügung haben. Die Stadt zieht also massiv Einkäufer aus dem Umland an. (Zum Vergleich: Mainz liegt bei 109, Wiesbaden bei knapp 112). Auf dem Mannheimer Marktplatz gibt es nicht nur rege besuchte Wochenmärkte – sondern auch einen großen Supermarkt. Und das ohne einen einigen Parkplatz, dafür aber mit Straßenbahnhaltestelle vor der Haustür.

Der gut besuchte Wochenmarkt auf dem Marktplatz. Im Vordergrund kreuzen Fußgänger die Gleise auf dem kurzen Weg zur barrierefreien Haltestelle. Unvorstellbar, würden die Leute hier mit Auto statt mit ÖPNV anreisen.
(Photo: Andreas Praefcke, Mannheim Rathaus Marktplatz 2005, CC BY 3.0)

Neben der massiven Erweiterung des Straßenbahnnetzes verfolgt die Stadt Mannheim nun auch das Ziel, den Lieferverkehr aus der Fußgängerzone rauszuhalten. Dazu wurden designierte Lieferzonen eingerichtet – die Lieferfahrzeuge halten nicht mehr in der Fußgängerzone direkt, sondern auf Parallel- oder Seitenstraßen. Die letzten Meter werden dann per Sackkarre oder Lastenameise zurückgelegt werden. Poller und erhöhte Polizeipräsenz sorgen hier für die Umsetzung.

Quellen

Quellen
1 Mannheim brüstet sich auch mit der Erfindung des Spaghetti-Eises. Aber das sei nur als Anekdote am Rande erwähnt.

Drum prüfe, wer sich länger bindet

Am 27. Juli eröffnet die französische Stadt Caen ihr neues Straßenbahnnetz. Damit ist sie eine von Dutzenden französische Städten, die sich eine Tram zulegen. Doch Caen ist in einem Detail besonders: Hier entschied sich die Stadt 2002 für eine vermeintliche Alternative zur Straßenbahn – und scheiterte.

Wer in Wiesbaden ein Spurbussystem statt einer normalen Straßenbahn einführen möchte, sollte einen Blick nach Caen wagen. Es lohnt sich, denn Caen, in der Normandie gelegen und mit seiner mittelalterlichen Burg und mehreren Kirchen eine für Touristen sehr attraktive Stadt, wird nun am 27. Juli 2019 eine Straßenbahn in Betrieb nehmen. Vorausgegangen ist eine eher wechselvolle Geschichte. Zuvor war das mit vielen Vorschusslorbeeren gestartete Projekt eines straßenbahnähnlichen Oberleitungsbussystems namens TVR gescheitert.

Auch die TVR verkehren losgelöst vom Autoverkehr. (Bild: Gervacio Rosales, Tranvia – panoramio – Gervacio Rosales, CC BY 3.0)

Eigentlich hatte die Stadt Caen 2002 ein besonders preiswertes, aber trotzdem leistungsfähiges elektrisches System für den öffentlichen Nahverkehr eingeführt, das ohne Schienen auskommen sollte. Die spurgeführten Doppelgelenkwagen des TVR waren 24,5 Meter lang, 2,5 Meter breit und konnten bis zu 154 Passagiere befördern. In der Anschaffung waren sie günstiger als eine Straßenbahn. Im täglichen Betrieb aber erwiesen sie sich aufgrund von Pannen, Störungen und Entgleisungen als so unzuverlässig und im Unterhalt so teuer, dass man bereits 2011 entschied, die 2002 eröffneten Strecken stillzulegen. Der TVR wird künftig durch eine konventionelle Straßenbahn ersetzt. Sicher auch ein wichtiger Fingerzeig für Befürworter schienenloser Alternativen zur CityBahn in Wiesbaden.

Die Spurführung hat beim TVR auch einen Nachteil: Immergleiche Belastungen der schweren Fahrzeuge führen zu Spurrillen in der Straße. (Bild: HÉROUVILLE Saint-Clair CFR0194 flickr photo by NeiTech shared under a Creative Commons (BY-NC-ND) license )

In bemerkenswerten 18 Monaten Bauzeit wird in Caen in diesem Sommer eine Straßenbahnstrecke mit 16,2 km Länge eröffnet. Mit insgesamt 260 Millionen € liegen die Kosten nur knapp über der kalkulierten Viertelmilliarde – auch in dieser Hinsicht ein eindrucksvolles Vorbild. Dieser Preis übersteigt zwar die Investition für die nun ausgemusterten TVR, aber nach den Berechnungen werden sich diese Mehrkosten rasch durch die Einsparungen im täglichen Betrieb amortisieren. Zusätzlich sorgt die Straßenbahn für mehr Grün in der Stadt, da etwa die Hälfte der ehemaligen TVR-Betonbahnen jetzt durch Rasengleise ersetzt worden sind. Drum prüfe wer sich länger bindet – auch in Wiesbaden.