06.12. – Augsburg: Wenn der Schuh drückt

Wiesbaden ist eine grüne Stadt? Verglichen mit dem Thelottviertel in Augsburg ist sie eher eine Steppe. Augsburg hat schon in den Jahren 2013 und 2014 Wiesbaden vorgemacht, wie ein aktiver und erfolgreicher Dialog mit kritischen Bürgern aussehen kann.

Worum geht es beim Bürgerdialog GoWEST?

Beim Bürgerdialog in Augsburg ging es um die Führung der neuen Straßenbahnlinie (Linie 5) vom Westportal des Bahnhofs bis zur Bürgermeister-Ackermann-Straße – einer Ost-West-Achse durch die Stadt. Die Linie soll durch empfindliche Bereich im dicht bewohnten Thelott- und Rosenauviertel führen. Beide Viertel weisen einen wertvollen Baumbestand und empfindliche Grünräume entlang der Wertach auf.

Zusätzlich stehen im Thelottviertel, das zwischen 1905 und 1929 nach Plänen von Sebastian Buchegger als eine der ersten Gartenstädte Deutschlands erbaut wurde, viele Gebäude unter Denkmal- bzw. Ensembleschutz. Im Rosenauviertel liegen beiderseits einer Kastanienallee große Wohnhöfe, die in den 1920er Jahren von Thomas Wechs und Otto Holzer gebaut worden sind.

Das Augbsurger Thelottviertel (Bild: wikiuser:Monroe~commonswiki, Thelottviertel, CC BY-SA 3.0)

Warum Bürgerdialog?

Um eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung für die geplante Neubaustrecke zu erreichen, wurde dem Planfeststellungsverfahren ein Bürgerdialog vorangestellt.

Format und Ablauf des Bürgerdialogs GoWEST

Durch die Einbindung und aktive Mitwirkung von Anliegern der potenziell betroffenen Straßen in überschaubaren Gruppen sollte eine Auswahl aus fünf möglichen Streckenführungen getroffen werden. Es wurde mit gut vierzig Personen gearbeitet, die an drei Tischen arbeiteten oder gemeinsam im Plenum diskutierten.

Vertreter von Stadtverwaltung und Stadtwerken beantworteten Fragen und nahmen Prüfaufträge entgegen, deren Ergebnisse dann den Delegierten beim nächsten Plenum präsentiert wurden.

Große Pläne: Der Ausbau des Augburger Straßenbahnneztes (gelb). (Bild: Maximilian Dörrbecker (Chumwa), MDA Übersicht, CC BY-SA 2.5)

Durch die Aufteilung wurde eine offene Diskussion über die Vor- und Nachteile jeder Streckenvariante diskutiert, was zum Beispiel den Vorschlag einer geflügelten Variante der Trassenführung durch das Thelottviertel hervorbrachte, bei der die Hinstrecke eine andere durch andere Straßen führt als die Rückstrecke, da die gemeinsame Führung von Hin- und Rückstrecke durch die gleichen Straßen nicht dem kleinteiligen Aufbau des Gartenviertels entsprochen hätten.

Die Gruppen bestanden aus je vier Delegierten (Mieter und Eigentümer) aus sieben Straßenzügen, die sich bei der Auftaktveranstaltung melden konnten und anschließend per Los aus dem Interessentenkreis bestimmt wurden, plus Vertretern von Interessengruppen aus dem Stadtteil und Initiativen aus den Quartieren sowie je einem Vertreter der Stadtratsfraktionen.

Diese Varianten der Trasse entwickelten und diskutierten die Bürger im Workshop. (Quelle: Abschlusspräsentation der Workshops)

Für Wiesbaden interessante Ansätze

Gerade die Variante, Anwohner mit Interessenvertretern und Lokalpolitikern an einen Tisch zu setzen, wobei  der Einfluss der Parteien durch die Losauswahl der Anwohner und die geringe Zahl der Fraktionsrepräsentanten niedrig gehalten wurde, ist auch für Städte wie Wiesbaden interessant. Damit werden auch Bürger, die kein Vertrauen mehr in die Lokalpolitik setzen, einbezogen und lassen die Anwohner an der geplanten Strecke als gestaltender Bürger auftreten – und nicht als Objekt der Stadtplanung.

Quelle: Norbert Diener/Hartmut Topp: „GoWEST mit Tram 5 – Bürgerdialog im Projekt Augsburg city“ in: „Informationen zur Raumentwicklung, Heft 4.2016: Straßenbahnen und Stadtentwicklung“

Drum prüfe, wer sich länger bindet

Am 27. Juli eröffnet die französische Stadt Caen ihr neues Straßenbahnnetz. Damit ist sie eine von Dutzenden französische Städten, die sich eine Tram zulegen. Doch Caen ist in einem Detail besonders: Hier entschied sich die Stadt 2002 für eine vermeintliche Alternative zur Straßenbahn – und scheiterte.

Wer in Wiesbaden ein Spurbussystem statt einer normalen Straßenbahn einführen möchte, sollte einen Blick nach Caen wagen. Es lohnt sich, denn Caen, in der Normandie gelegen und mit seiner mittelalterlichen Burg und mehreren Kirchen eine für Touristen sehr attraktive Stadt, wird nun am 27. Juli 2019 eine Straßenbahn in Betrieb nehmen. Vorausgegangen ist eine eher wechselvolle Geschichte. Zuvor war das mit vielen Vorschusslorbeeren gestartete Projekt eines straßenbahnähnlichen Oberleitungsbussystems namens TVR gescheitert.

Auch die TVR verkehren losgelöst vom Autoverkehr. (Bild: Gervacio Rosales, Tranvia – panoramio – Gervacio Rosales, CC BY 3.0)

Eigentlich hatte die Stadt Caen 2002 ein besonders preiswertes, aber trotzdem leistungsfähiges elektrisches System für den öffentlichen Nahverkehr eingeführt, das ohne Schienen auskommen sollte. Die spurgeführten Doppelgelenkwagen des TVR waren 24,5 Meter lang, 2,5 Meter breit und konnten bis zu 154 Passagiere befördern. In der Anschaffung waren sie günstiger als eine Straßenbahn. Im täglichen Betrieb aber erwiesen sie sich aufgrund von Pannen, Störungen und Entgleisungen als so unzuverlässig und im Unterhalt so teuer, dass man bereits 2011 entschied, die 2002 eröffneten Strecken stillzulegen. Der TVR wird künftig durch eine konventionelle Straßenbahn ersetzt. Sicher auch ein wichtiger Fingerzeig für Befürworter schienenloser Alternativen zur CityBahn in Wiesbaden.

Die Spurführung hat beim TVR auch einen Nachteil: Immergleiche Belastungen der schweren Fahrzeuge führen zu Spurrillen in der Straße. (Bild: HÉROUVILLE Saint-Clair CFR0194 flickr photo by NeiTech shared under a Creative Commons (BY-NC-ND) license )

In bemerkenswerten 18 Monaten Bauzeit wird in Caen in diesem Sommer eine Straßenbahnstrecke mit 16,2 km Länge eröffnet. Mit insgesamt 260 Millionen € liegen die Kosten nur knapp über der kalkulierten Viertelmilliarde – auch in dieser Hinsicht ein eindrucksvolles Vorbild. Dieser Preis übersteigt zwar die Investition für die nun ausgemusterten TVR, aber nach den Berechnungen werden sich diese Mehrkosten rasch durch die Einsparungen im täglichen Betrieb amortisieren. Zusätzlich sorgt die Straßenbahn für mehr Grün in der Stadt, da etwa die Hälfte der ehemaligen TVR-Betonbahnen jetzt durch Rasengleise ersetzt worden sind. Drum prüfe wer sich länger bindet – auch in Wiesbaden.