Antworten von vorgestern

Fast immer wenn das Gespräch auf die Verkehrsprobleme und das Park-Chaos in unseren Städten kommt, findet sich irgendwer der behauptet, dass man doch eigentlich nur genügend Parkplätze bauen müsse, dann würde sich das Problem von alleine erledigen. Leider zeigen die jahrzehnte lang praktizierten Versuche, autogrechte Städte zu schaffen, dass diese scheinbar naheliegende Lösung nicht nur nicht funktioniert, sondern die Probleme mittelfristig sogar verstärkt. Wenn wir unsere Verkehrsprobleme in den Griff bekommen wollen, sollten wir daher nach anderen Konzepten suchen.

Dass der Parkdruck in unserer Stadt seit Jahrzehten wächst, ist eine derart banale Wahrheit, dass sie eigentlich nicht einmal extra erwähnt werden muss. Im Gegensatz zu den stetig steigenden Einwohner- und Kfz-Zulassungszahlen ist der zur Verfügung stehende innerstädtische Raum ja nicht gewachsen.

In dicht besiedelten und historisch gewachsenen Vierteln fehlt in der Regel schlicht der Platz, um ständig weiteren Parkraum zu schaffen. Hier mal eine Tiefgarage, dort ein Parkdeck zusätzlich zu den heiß umkämpften Raum auf der Straße. Viel mehr als punktelle Lösungen sind meistens nicht drin, wenn man dafür nicht gleich ganze Wohnblocks einreißen will. Die Erkenntnis, dass die Pkw-Anzahl schon lange das für unsere Städte tolerierbare Maß überschritten hat, ist in der Verkehrswissenschaft mittlerweile ein Gemeinplatz.

Aus diesem Grund laufen die Lösungen für die Parkplatzprobleme in den meisten Städten dieser Republik (und des Planeten) in der Regel in dieselbe Richtung: Die Gesamtzahl an zu parkenden Autos muss runter. Attraktive Alternativen müssen her: Rad und ÖPNV gehören gestärkt, Fahrgemeinschaften gefördert, CarSharing benötigt Platz. Nur selten genutzte Autos gehören ganz runter von öffentlichem Raum. Dann ist für die Kurzzeitparker, für Mobilitätseingeschränkte, Lieferanten und Co – kurz: für alle, die tatsächlich auf ihr Auto angewiesen sind – auch genug Platz.

Aber leider werden in der politischen Diskussion auch heute immer wieder „Lösungen“ von vorgestern hervor geholt. So forderte z.B. die BI Mitbestimmung im Nachgang zur Talk im Foyer-Veranstaltung „Wem gehört die Straße?“ folgendes:

Screenshot Facebook, BI Mitbestimmung CityBahn Wiesbaden.

Es sollten daher deutlich mehr Quartiersgaragen entstehen und die Stellplatzsatzung, völlig konträr zu den Grünen-Plänen, verschärft anstatt gelockert werden !! (zB 2 PP pro Wohneinheit plus Besucherparkplätze)

BI Mitbestimmung, via FaceBook

Bislang ist bei neuen Wohnungen ein Autoparkplatz vorgeschrieben, in den Randbezirken pro Wohnung 1,5 Parkplätze. Mit der Forderung nach „2 plus x“ Parkplätzen pro Wohneinheit verdoppelt die BI Mitbestimmung also den geforderten Parkraum für Wohngebiete.

Was auf den ersten Blick charmant klingt, offenbart bei näherer Betrachtung ein veraltetes, menschenfeindliches und ungerechtes Zielbild vom Leben in der Stadt. Das wird an zwei Punkten deutlich: Dem enormen Platzverbrauch dieser Idee. Und den dadurch entstehenden Kosten.

Platz ist für Menschen da

In einer Wiesbadener Wohnung wohnen durchschnittlich ziemlich genau zwei Menschen.1Siehe Wiesbadener Stadtteilprofile. Für einen Stadtteil wie dem Rheingauviertel, in dem heute knapp 8.100 Autos auf 21.100 Einwohner gemeldet sind, hieße die Forderung nicht weniger als eine Verdoppelung bis Verdreifachung (!) der Autozahlen und damit der Parkflächen.

So viele Parkfläche würde benötigt, wenn die Forderungen der BI Mitbestimmung nach einer verschärften Stellplatzsatzung konsequent auf den Bestand angewandt würde. (Hintergrundbild: Concrete flickr photo by drazz shared under a Creative Commons (BY-SA) license )

Insgesamt ergäbe sich ein absonderlich hoher Platzbedarf von 67 Hektar für das Rheingauviertel.2Für einen Parkplatz in einem ‚gut geplanten‘ Parkhaus sind nach branchen-eigenen Angaben im Schnitt 27m² notwendig. Zum Vergleich: Das gesamte Rheingauviertel ist 250 Hektar groß. Da hilft es auch nicht, die Parkplätze – gemäß Forderung der BI Mitbestimmung – in Quartiersgaragen anzulegen, also auf mehreren Ebenen zu stapeln. Um die geforderte Parkfläche bereitzustellen, wäre ein Parkhaus mit der Fläche des gesamten Elsässer Platzes 68 (!) Etagen hoch.

In den anderen Stadtteilen sieht es nicht besser aus: Wiesbaden Mitte bräuchte 74,6 Hektar Parkhäuser (≙ 19 Reisingeranlagen), Nordost 76,6 Hektar (≙ 13 Alte Friedhöfe), Südost immerhin 65 Hektar – das entspricht einem 44-geschossigen Parkhaus in Größe der Brita-Arena. Wenn der gesamte Schlosspark zum Parkhaus würde, benötigt Biebrich dort vier Etagen auf der gesamten Fläche (inklusive dem Spielplatz am Parkfeld). Für das Westend wären Parkflächen nötig, die fast so groß sind wie das Westend selbst.

Mit einer konsequenten Umsetzung der Idee, pro Wohnung „2+x“ Parkplätze bereit zu halten, würde die Landeshauptstadt Wiesbaden über mehr Parkplätze als Einwohner verfügen.

Fernab jeder Kostenrealität

Doch die Forderung ist nicht nur wegen dem enormen Platzbedarf absurd. Denn der Bau von Stellplätzen in Parkhäusern und Quartiersgaragen kostet viel Geld: Im Schnitt rund 22.000 Euro pro Stellplatz.

Abhängig davon, ob das Parkhaus als simpler Stahlskelettbau auf der grünen Wiese ist oder nachträglich in bestehende Strukturen hineingebaut, schwanken die Kosten zwischen 10.000 Euro und 45.000 Euro pro Stellplatz. Die Vorstudie zu einer Quartiersgarage am Elsässer Platz bezifferte die Kosten auf 5,1 Millionen Euro (Parkdeck) bzw. 10,3 Millionen Euro (Tiefgarage). Dafür gäbe es 385 Stellplätze – nach den Forderungen der BI Mitbestimmung ausreichend für nichteinmal die zwei direkt an den Elsässer Platz anschließenden Häuserblocks.

Um die geforderten Parkplätze in Quartiersgaragen zu errichten, wären bei durchschnittlichen Baukosten allein für das Westend knapp 430 Millionen Euro notwendig.

Doch wer trägt diese Kosten? Besonders in den dicht besiedelten Vierteln sind die Möglichkeiten für die Bauherren, bei Nachverdichtungen oder Aufstocken zusätzlichen Parkraum zu errichten, sehr nahe bei Null. Folglich wird der Großteil die Möglichkeit in Anspruch nehmen, sich gegen Zahlung einer Ablöse von der Parkplatzpflicht zu befreien. Von diesem gesammelten Geld (Garagenfonds) kann die Stadt dann beispielsweise Parkplätze oder Quartiersgaragen errichten.

Je nach Grundstückswert schwankt der Ablösebetrag. Im Blücherviertel (Westend) liegt er bei 14.250 EUR pro Parkplatz, in der Adolf-Todt-Straße bei 9.000 EUR. Beide Werte liegen deutlich unterhalb der durchschnittlichen Baukosten – die Differenz wären städtische Subventionen, also Steuergelder. Daran ändert auch eine Vermietung der Parkplätze nichts – denn monatlich sind allein zwischen 60 und 80 Euro Miete pro Stellplatz notwendig, um die laufenden Kosten eines Parkhauses zu decken.

Schon vor Jahrzehnten veraltet

Selbstverständlich werden nicht 100% aller Parkplätze in Parkhäusern realisiert. Es werden weiter Autos auf normalen Parkflächen und am Straßenrand stehen. Dennoch offenbart die Forderung nach „2+x“ Parkplätzen eine seit langer Zeit als antiquiert geltende Idee der zukunftsgerechten Stadt.

Wer Parkplätze baut, entlastet nicht den bestehenden Parkdruck – sondern motiviert zusätzliche Verkehrsteilnehmer zum Autofahren. Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.

Adding car lanes to deal with traffic congestion is like loosening your belt to cure obesity.

Lewis Mumford, 1955.

Und selbst wenn die Forderung nur bei Neubauten, Nachverdichtungen und Auftstockungen greifen, sind sie durch die ohnehin knappen innerstädtischen Flächen nur durch massive Einschnitte zuungunsten anderer Verkehrsteilnehmer realisierbar. Auch die Idee, sich dies auch noch von den betroffenen und benachteiligten Mitbürgern quersubventionieren zu lassen, spricht nicht für eine zukunftsgerichtete und ausgeglichene Denkweise.

Haus&Grund: Lockert die Stellplatzsatzung

Nichteinmal die Wiesbadener Eigentümervereinigung Haus und Grund e.V., die sonst keine Gelegenheit verpasst, sich mit der BI Mitbestimmung zu verbrüdern, findet diese Idee gut.

So forderte sie vor wenigen Tagen erst das komplette Gegenteil: Keine zusätzlichen Parkplätze bei Aufstockungen, keine fällige Ablöse. 3“Mehr Wohnungen für Wiesbaden“. FAZ, 30.11.2019 Damit könnten laut Verband in Wiesbaden zwischen 2.000 und 5.000 Wohnungen neu entstehen – vor allem in dicht besiedelten Vierteln.

Vorsitzender Wilfried Woidich fordert hier also den Bau tausender neuer Innenstadtwohnungen ohne neuen Parkraum. Aus Bauherrensicht ist die Forderung verständlich: Der Bau von Wohnungen würde damit einfacher und billiger.

Dass er sich damit indirekt auch für autoärmere Wohnviertel und Innenstädte ausspricht, ist ihm hoffentlich bewusst. Funktionieren kann das eigentlich nur per gestärktem ÖPNV, mehr Radverkehr und CarSharing. Gleichzeitig lässt er kein Quartal vergehen, ohne sich über die Mitgliederzeitschrift gegen die CityBahn zu positionieren – ein Widerspruch, welchen er hoffentlich noch auflöst.

Exkurs: Wiesbadener Stellplatzsatzung

Die Wiesbadener Stellplatzsatzung schreibt vor, wieviele Auto- und Radabstellplätze ein Wiesbadener Neubau mitbringen muss. Je nach Gebäudetyp – Einfamilienhaus, Mehrfamilienhaus, Schwimmbad, Seniorenheim oder Stadion, Geschäft oder Minigolfplatz, Kirche, Kegelbahn, Bordell oder Schießstand: im Detail ist angegeben, wer wofür wieviele Parkplätze mit einplanen muss.

Parkplätze sind knapp – daher erscheint es sinnvoll, dass neue Gebäude und Einrichtungen (die meistens errichtet werden, damit dort Leute hingehen), Abstellflächen für Autos und Fahrräder bereitstellen. Zusammengefasst müssen neue Mehrfamilienhäuser je nach Stadtteil zwischen 1 und 1,5 Autoparkplätze pro Wohnung mitbringen. Bei beispielsweise Senioren- oder Studentenwohnheimen ist es weniger.

Können Neubauprojekte diese Parkflächen nicht schaffen, kommt die Ablöse ins Spiel. Mit einem Geldbetrag können sich die Bauträger von der Parkplatz-Bau-Pflicht freikaufen. Je nach Grundstückswert liegt der Preis dafür zwischen 3.000 EUR und 30.000 EUR. Von dem davon eingenommenen Geld, dem Garagenfonds, finanziert die Stadt dann beispielsweise den Bau von Parkplätzen oder -decks.

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Quellen

Quellen
1 Siehe Wiesbadener Stadtteilprofile
2 Für einen Parkplatz in einem ‚gut geplanten‘ Parkhaus sind nach branchen-eigenen Angaben im Schnitt 27m² notwendig.
3 “Mehr Wohnungen für Wiesbaden“. FAZ, 30.11.2019

Busauslastung in Wiesbaden

Die Frage, wie ausgelastet das Bussystem in Wiesbaden bereits ist, kochte im Herbst 2018 erneut hoch – und eskalierte bis ins Rathaus. Anlass war ein Magistratsbericht vom August 2018 über die durchschnittliche Auslastung von Bussen, der nur spärlich erläutert für Durchschnittsbürger kaum verständlich war. Zudem wurden die Zahlen bisweilen abenteuerlich ausgelegt, was – unbewusst oder bewusst – zu zweifelhaften Schlüssen führte..

Schon ein einfacher Praxistest, den die Bürgerinitiative Pro CityBahn im September 2018 unternahm, bewies eindrucksvoll, dass die Herstellerangaben über Fahrgastkapazitäten an jeder Realität vorbeigehen. Schon weit unter 150 Passagiere war der Gelenkbus derart überbelegt, dass an eine Fahrt überhaupt nicht zu denken gewesen wäre.

Chronik

Wie ESWE Verkehr aber eigentlich auf eine maximale Beförderungskapazität von nur 70 Personen bei einem Solobus und nur 100 bei einem Gelenkbus kommt, ist uns schleierhaft. Dabei handelt es sich um völlig willkürliche Zahlen, die nicht von Herstellerangaben oder sonstigen öffentlich nachprüfbaren Quellen abgeleitet werden können. Auch nicht aus Gesetzen und Vorschriften.

BI Mitbestimmung, 27. September 2018

Für die Ermittlung der Kapazitäten bzw. des Platzangebotes wurden zudem die eingesetzten Fahrzeugtypen berücksichtigt: Standardlinienbus: 70 Steh- und Sitzplätze, Gelenkbus: 100 Steh- und Sitzplätze.

Nahverkehrsplan der Landeshauptstadt Wiesbaden, Juni 2015
  • 18. September 2020 – Auch die BI Mitbestimmung behauptet weiterhin, es würde 150 Menschen in einen Gelenkbus passen – hier konkret in den Volvo 7900 EA. Dass es sich wieder nur um Herstellerangaben handelt – und das 7-8 Personen pro Quadratmeter bedeutet – ignorieren sie geflissentlich.
  • 05. Oktober 2020 – In einem „Artikel“ verlängert die BI Mitbestimmung die Behauptung, in einen Gelenkbus passten 150 Leuten – und 100 in einen Solobus..
Auszug aus dem Newsletter der BI Mitbestimmung, 18. September 2020
Dr. Wolfgang Balzer,
BI Mitbestimmung, 05. Oktober 2020

Magistratsbericht zur Busauslastung

Auslastungsdaten aus dem Magistratsbericht. Der komplette Bericht ist hier zu finden: Link. Grundlage sind Ergebnisse der Zählbusse im ersten Halbjahr 2018.
KOM = Kraftomnibus, GOM = Gelenkomnibus

Der Bericht zeigt die 16 meistgenutzten Buslinien der ESWE. Dargestellt sind jeweils die Fahrtrichtung, das Zeitfenster der Spitzenauslastung, die maximale Auslastung in % und der Typ der eingesetzten Busse. Auf den ersten Blick werden schon mehrere Schwachstellen offenbar:

  1. Es gibt keine Hinweise darüber, auf welchen Abschnitten die maximale Auslastung erreicht wurde. Ist sie entlang der gesamten Strecke hoch oder nur auf Teilabschnitten?
  2. Es finden sich keine Hinweise darüber, wie hoch die Auslastung außerhalb des genannten Zeitfensters ist.
  3. Es ist nicht gekennzeichnet, wieviele Zählungen hinter den Werten liegen: Ob im Laufe der Zeit nur zwei Fahrten gezählt wurden oder Dutzende, lässt Rückschlüsse auf die Zuverlässigkeit der Zahlen zu.
  4. Der größte und vermutlich schwerwiegendste Punkt: Die Berechnung der Auslastung (maximale Auslastung in %) ist nur angedeutet, nicht verständlich erklärt. Doch dazu im nächsten Kapitel mehr.

Berechnung der maximalen Auslastung

Die ESWE-Zählbusse haben ein halbes Jahr lang Auslastungsdaten erhoben – die meisten Strecken wurden also viele Male gezählt.

Zur Ermittlung des angegebenen Auslastungsgrades wurde – wenn mehrere Fahrten erhoben wurden – der sogenannte Median angegeben. Doch der Median ist keineswegs der (umgangssprachliche) Durchschnittswert. Vereinfacht gesagt ist der Median derjenige Wert, der genau in der Mitte steht: Von einer Reihe Messwerten ist der Median so gewählt, dass die Hälfte aller Messwerte kleiner ist – die andere Hälfte größer als der Median. Wie viel kleiner oder größer die anderen Messwerte sind, spielt für den Median keine Rolle.

Welche konkreten Auswirkungen das haben kann, ist an diesem Beispiel erklärt: Gegeben seien fünf Buslinien, auf denen die Auslastung von jeweils sieben Fahrten gemessen wurde. Die Auslastungen sind in den grauen Balken dargestellt.

Linie 1Linie 2Linie 3Linie 4Linie 5
Median80%80% 80% 80% 80%
Durchschnitt80% 81% 58%88%97%

Bei allen fünf Buslinien ist der Median (maximale Auslastung in %) genau 80 %. Die durchschnittliche Auslastung schwankt aber massiv. Der Median gibt keine Information darüber, wie dicht belegt die anderen Fahrten waren. Es ist also nicht möglich, vom Median auf die durchschnittliche Auslastung zu schließen, will man seriöse Angaben machen.

Wenn die Buslinie 6 beispielsweise morgens zwischen 7 und 8 Uhr eine maximale Auslastung von 80% hat, könnte das heißen, dass alle Fahrten zu 80% ausgelastet sind. Es kann aber auch heißen, dass jeder zweite Bus drastisch überfüllt gefahren ist.

Zielauslastung eines Busses

Unser Bus-Flashmob hat neben dem realistischen Fahrgastlimit in einem Gelenkbus auch eine weitere Erkenntnis gebracht: Je voller der Bus ist, desto länger dauert der Fahrgastwechsel. Denn sind die Gänge erstmal voll, braucht das Ein- und Aussteigen deutlich mehr Zeit. Der Fahrplan ist so nicht mehr einzuhalten.

Daher hat der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen bereits 2001 festgelegt: Für einen zuverlässig funktionierenden ÖPNV soll die maximale Auslastung 65% nicht übersteigen.1
Verkehrserschließung und Verkehrsangebot im ÖPNV, 2001
Berechnungsgrundlage dafür ist die Kapazitätsermittlung nach VDV: Bei Gelenkbussen also knapp 100 Plätze. Genau diese Zielgröße hat der Berliner Senat beispielsweise vertraglich mit den Berliner Verkehrsbetrieben festgelegt. Details dazu finden sich in unserem Artikel zur Berechnung von Buskapazitäten. Der Großteil der aufgezählten Busauslastungen der ESWE lag deutlich über den empfohlenen 65%.

Fazit

Ein Teil der hitzigen Diskussion im Herbst 2018 hätte verhindert werden können, wenn der vorgelegte Magistratsbericht ausführlicher und verständlicher gewesen wäre. Auch die korrekte Interpretation der Zahlen wäre mit ausführlicheren Darstellungen einfacher gewesen. Unvollständige Informationen bieten natürlich genügend Raum für jeden, der die Zahlen unbewusst oder bewusst falsch interpretiert und daraus unzulässige Schlüsse zieht. Und beides ist geschehen.

Generell möchten wir, als Verein und Bürgerinitiative, sowohl den Magistrat, als auch die ESWE Verkehr dazu ermutigen weitere Schritte hin zu einer transparenten und offenen Kommunikation zu unternehmen. Dabei müssen aber auch die zur Einordnung nötigen Hintergrundinformationen bereitgestellt werden, um der interessierten Öffentlichkeit eine Meinungsbildung frei von Spekulationen und Vorurteilen zu ermöglichen.

Die Diskussion um die Zahlen wird auch nicht konstruktiver, solange die ESWE Verkehr selbst verschiedene Kapazitätsangaben für ihre Busse kommuniziert. Denn während die meisten Blogeinträge mittlerweile die realistischen Kapazitätsangaben (gemäß VDV) verwenden, stehen in den technischen Fahrzeugdaten noch immer die Herstellerangaben.

Ein seriöser Vergleich zwischen Bussen und Straßenbahnen basiert darauf, dass bei beiden die Fahrgastkapazitäten nach demselben Verfahren ermittelt werden: Entweder nach einem realistischen, erprobten und empfohlenen Verfahren (VDV) oder die Sardinenversion mit bis zu 8 Personen pro Quadratmeter, wie sie fälschlich und unrealistisch von den Herstellern verwendet wird. Oder man verwendet die Sardinenberechnung ebenfalls bei Straßenbahnen – dann fasst aber zum Beispiel in die 30 Meter lange Skoda ForCity Chemnitz knapp 300 statt 190 Personen.

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Quellen

Quellen
1
Verkehrserschließung und Verkehrsangebot im ÖPNV, 2001

Stellungnahme zum Start der beiden Bürgerbegehren gegen das Projekt CityBahn

Pressemitteilung vom 20. Januar 2018

Nachdem am Wochenende gleich zwei Bürgerbegehren gegen das Projekt CityBahn gestartet wurden, wollen wir Bürger pro CityBahn e.V. als Unterstützer dieses Projektes zu den Inhalten Stellung nehmen.

Zum Bürgerbegehren der BI “Busse statt City-Bahn”

Leider bestätigt der Text des Bürgerbegehrens der BI “Busse statt City-Bahn”, dass sie es mit Fakten nicht so genau nimmt.  So ist z.B. die Behauptung, entlang der Trasse würden “tausende Parkplätze” ersatzlos wegfallen, dem Reich der Phantasie zu zuordnen. Diese Aussagen überraschen nicht, weil sie sich nahtlos in die zahlreichen Fehlinformationen des online-Auftritts und den live-Diskussionen an deren Infoständen einreihen. Derartige Überzeichnungen und Falschdarstellungen haben leider einen erheblich Anteil daran, dass die Diskussion über die Zukunft des ÖPNVs in Wiesbaden derart polarisiert und emotional geführt wird.

Zum Bürgerbegehren der BI “Mitbestimmung Citybahn”

Wir bedauern, dass die BI Mitbestimmung Citybahn erneut die Chance verstreichen lässt, einen eigenen, realistischen und konstruktiven Vorschlag zur Weiterentwicklung des Nahverkehrs zu unterbreiten. Wie befürchtet geht es in diesem Bürgerbegehren einzig darum, das laufende Projekt CityBahn zu blockieren. Das torpediert auch die erst im November von allen Fraktionen des Stadtparlaments beschlossene Entwicklung des Mobilitätsleitbildes für Wiesbaden.

Auch halten wir es für fragwürdig, das Bürgerbegehren mit längst überholten Zahlen aus 2016 zu begründen, die sich zudem auf eine ganz andere Linienführung beziehen. Hier zeigt sich, wie unsinnig es ist, unbedingt einen Bürgerentscheid erzwingen zu wollen, obwohl die CityBahn noch mitten in der Entwurfsplanung steckt und keine belastbaren Zahlen zum aktuellen Planungsstand vorliegen.

Der im Bürgerbegehren angeführte Vorschlag zur Gegenfinanzierung lässt die von der BI Mitbestimmung CityBahn immer wieder verbreiten Lippenbekenntnisse zum ÖPNV unglaubwürdig erscheinen. Wenn die Kosten eines harten Ausstieg aus diesem Projekt ausgerechnet aus dem Budget des ÖPNVs entnommen werden sollen, dann demonstriert das anschaulich, wie wenig es tatsächlich um einen Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel geht.

Den durchschaubaren Versuch, Schulen und Kitas gegen die Öffentlichen Personennahverkehr auszuspielen, empfinden wir als unanständig. Zumal die vorläufige NKU schon jetzt belegt, dass die langfristigen Kosten einer Stadt ohne CityBahn höher lägen als mit. Mittelfristig führt kein Weg an einem Ausbau des ÖPNVs vorbei – das sagen selbst die Kritiker.

Es erscheint grotesk, dass sich die Gegner des Projekts CityBahn nicht einmal auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können. Wie soll eine konstruktive Beteiligung an der Gestaltung von Wiesbadens Mobilität aussehen, wenn beide  Bürgerinitiativen es trotz gleicher Ziele nicht einmal schaffen, miteinander zu kooperieren (oder sich zumindest nicht gegenseitig zu schaden)?

Zur Situation

Angesichts wachsender Bevölkerung und steigender Mobilität, des demographischen Wandels und der drohenden Klimakrise kann sich Wiesbaden weiteren Stillstand nicht leisten. Es wäre daher unverzeihlich, wenn man den dringend notwendigen Ausbau des ÖPNVs erneut politischen Ränkespielen opfern und weiter Jahre Stillstand provozieren würde.

Leider trägt die jetzige Situation mit den beiden Bürgerbegehren nicht zu einer konstruktiven Diskussion über die Zukunft unser Stadt bei. Statt eines lösungsorientierten Dialogs wird so nur weiter polarisiert.

Bevor eine endgültige Entscheidung über das Projekt CityBahn gefällt werden kann, müssen erst noch wichtige und entscheidungsrelevante Details erarbeitet werden: Beispielsweise gibt es bisher keine Aussagen darüber, wie das Busnetz mit der CityBahn aussieht – also wie sich Pendelwege und -zeiten in den Stadtteilen verändern, die nicht an der Trasse liegen. Es gibt keine konkreten Informationen über die Verkehrsführung mit der CityBahn, über die konkret betroffenen Bäume und Parkplätze, über den Ablauf der Baustellen.

Einen Bürgerentscheid zu erzwingen, ohne dass diese Fakten auf dem Tische liegen, provoziert eine Entscheidung auf unklarer Faktenlage, auf Basis von Emotionen, Angstszenarien und Bauchgefühl. Demokratische Legitimierung sieht anders aus.

Wir sollten nicht so leichtfertig mit der Zukunft unserer Stadt umgehen.

Zum Verein “Bürger Pro CityBahn e.V.”

Bei “Bürger pro CityBahn e.V.” engagieren sich Menschen aus Wiesbaden und Umgebung für die Verkehrswende in Wiesbaden und einen nachhaltigen Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs in unserer Region. Die Planung und den Bau der CityBahn begleiten wir konstruktiv und wirken auf eine bestmöglichen Lösung für unsere Stadt hin. Ein Schwerpunkt unserer Arbeit besteht darin, die Stadtöffentlichkeit über die Rahmenbedingungen zu informieren und einen konstruktiven Dialog zu begleiten.

Wir verstehen die CityBahn als einen essentiellen Baustein auf dem Weg zu einer lebenswerteren, verkehrsärmeren und grüneren Stadt.

Stellungnahme zum angekündigten Bürgerbegehren der BI Mitbestimmung

Die Bürgerinitiative Mitbestimmung CityBahn möchte ab Mitte Januar Unterschriften für ein Bürgerbegehren sammeln. Ihr Ziel dabei ist es, einen kurzfristigen Bürgerentscheid herbeizuführen, um so die CityBahn zu verhindern.

Aus Sicht von Bürger Pro CityBahn e.V. ist dieses Vorhaben zum jetzigen Zeitpunkt kontraproduktiv. So wird die im November beschlossene Entwicklung des Mobilitätsleitbildes torpediert und eine Abstimmung auf Basis unvollständiger Informationen erzwungen.

Unserer Meinung nach ist ein fundiertes Wissen über Fakten, Konsequenzen und Handlungsalternativen essenziell für eine weitreichende Entscheidung über die Zukunft der Mobilität in Wiesbaden und Umgebung. Das Verkehrsproblem Wiesbadens endet nicht an der Stadtgrenze, weshalb auch die Belange der Menschen in Taunusstein, Bad Schwalbach und Mainz berücksichtigt werden sollten. Wer angesichts der noch laufenden Entwurfsplanungen und der im Umlauf befindlichen Fehlinformationen einen Bürgerentscheid herbeiführen will, kann eigentlich nur wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger ohne ausreichende Informationen an der Urne stehen.

Wir haben an unseren Infoständen die Erfahrung gemacht, dass eine Verbesserung und Erweiterung des öffentlichen Nahverkehrs selbst von Kritikern der CityBahn gewünscht und in einer wachsenden Stadt auch dringend notwendig ist. Es erscheint uns daher nicht sinnvoll, vorschnell eine Initiative zum Ausbau des ÖPNV abzuwürgen, ohne gleichzeitig eine realisierbare Handlungsalternative auf den Weg zu bringen. Wenn außer diffusen Forderungen und unausgereiften Prototypen keine konkreten Schritte zur Verbesserung vorgebracht werden, steht offensichtlich nur die Erhaltung des problematischen Status Quo auf der Agenda. So konnte bis heute seitens der BI Mitbestimmung noch keine einzige Großstadt genannt werden, in der der Verkehr nach ihren Vorstellungen abläuft und dennoch deutlich mehr Menschen den öffentlichen Nahverkehr nutzen.

Sollte die BI Mitbestimmung eine konkrete und realisierbare Handlungsalternative in ihrem Bürgerbegehren unterbreiten, so sind wir gerne bereit, diese konstruktiv zu diskutieren. Sobald uns der konkrete Antragstext des Bürgerbegehrens vorliegt, werden wir dazu entsprechend Stellung nehmen.

Eine nachhaltige Weiterentwicklung des Nahverkehrs ist unverzichtbar und im Sinne aller Menschen dieser Stadt.