Busauslastung in Wiesbaden

Die Frage, wie ausgelastet das Bussystem in Wiesbaden bereits ist, kochte im Herbst 2018 erneut hoch – und eskalierte bis ins Rathaus. Anlass war ein Magistratsbericht vom August 2018 über die durchschnittliche Auslastung von Bussen, der nur spärlich erläutert für Durchschnittsbürger kaum verständlich war. Zudem wurden die Zahlen bisweilen abenteuerlich ausgelegt, was – unbewusst oder bewusst – zu zweifelhaften Schlüssen führte..

Schon ein einfacher Praxistest, den die Bürgerinitiative Pro CityBahn im September 2018 unternahm, bewies eindrucksvoll, dass die Herstellerangaben über Fahrgastkapazitäten an jeder Realität vorbeigehen. Schon weit unter 150 Passagiere war der Gelenkbus derart überbelegt, dass an eine Fahrt überhaupt nicht zu denken gewesen wäre.

Chronik

Wie ESWE Verkehr aber eigentlich auf eine maximale Beförderungskapazität von nur 70 Personen bei einem Solobus und nur 100 bei einem Gelenkbus kommt, ist uns schleierhaft. Dabei handelt es sich um völlig willkürliche Zahlen, die nicht von Herstellerangaben oder sonstigen öffentlich nachprüfbaren Quellen abgeleitet werden können. Auch nicht aus Gesetzen und Vorschriften.

BI Mitbestimmung, 27. September 2018

Für die Ermittlung der Kapazitäten bzw. des Platzangebotes wurden zudem die eingesetzten Fahrzeugtypen berücksichtigt: Standardlinienbus: 70 Steh- und Sitzplätze, Gelenkbus: 100 Steh- und Sitzplätze.

Nahverkehrsplan der Landeshauptstadt Wiesbaden, Juni 2015
  • 18. September 2020 – Auch die BI Mitbestimmung behauptet weiterhin, es würde 150 Menschen in einen Gelenkbus passen – hier konkret in den Volvo 7900 EA. Dass es sich wieder nur um Herstellerangaben handelt – und das 7-8 Personen pro Quadratmeter bedeutet – ignorieren sie geflissentlich.
  • 05. Oktober 2020 – In einem „Artikel“ verlängert die BI Mitbestimmung die Behauptung, in einen Gelenkbus passten 150 Leuten – und 100 in einen Solobus..
Auszug aus dem Newsletter der BI Mitbestimmung, 18. September 2020
Dr. Wolfgang Balzer,
BI Mitbestimmung, 05. Oktober 2020

Magistratsbericht zur Busauslastung

Auslastungsdaten aus dem Magistratsbericht. Der komplette Bericht ist hier zu finden: Link. Grundlage sind Ergebnisse der Zählbusse im ersten Halbjahr 2018.
KOM = Kraftomnibus, GOM = Gelenkomnibus

Der Bericht zeigt die 16 meistgenutzten Buslinien der ESWE. Dargestellt sind jeweils die Fahrtrichtung, das Zeitfenster der Spitzenauslastung, die maximale Auslastung in % und der Typ der eingesetzten Busse. Auf den ersten Blick werden schon mehrere Schwachstellen offenbar:

  1. Es gibt keine Hinweise darüber, auf welchen Abschnitten die maximale Auslastung erreicht wurde. Ist sie entlang der gesamten Strecke hoch oder nur auf Teilabschnitten?
  2. Es finden sich keine Hinweise darüber, wie hoch die Auslastung außerhalb des genannten Zeitfensters ist.
  3. Es ist nicht gekennzeichnet, wieviele Zählungen hinter den Werten liegen: Ob im Laufe der Zeit nur zwei Fahrten gezählt wurden oder Dutzende, lässt Rückschlüsse auf die Zuverlässigkeit der Zahlen zu.
  4. Der größte und vermutlich schwerwiegendste Punkt: Die Berechnung der Auslastung (maximale Auslastung in %) ist nur angedeutet, nicht verständlich erklärt. Doch dazu im nächsten Kapitel mehr.

Berechnung der maximalen Auslastung

Die ESWE-Zählbusse haben ein halbes Jahr lang Auslastungsdaten erhoben – die meisten Strecken wurden also viele Male gezählt.

Zur Ermittlung des angegebenen Auslastungsgrades wurde – wenn mehrere Fahrten erhoben wurden – der sogenannte Median angegeben. Doch der Median ist keineswegs der (umgangssprachliche) Durchschnittswert. Vereinfacht gesagt ist der Median derjenige Wert, der genau in der Mitte steht: Von einer Reihe Messwerten ist der Median so gewählt, dass die Hälfte aller Messwerte kleiner ist – die andere Hälfte größer als der Median. Wie viel kleiner oder größer die anderen Messwerte sind, spielt für den Median keine Rolle.

Welche konkreten Auswirkungen das haben kann, ist an diesem Beispiel erklärt: Gegeben seien fünf Buslinien, auf denen die Auslastung von jeweils sieben Fahrten gemessen wurde. Die Auslastungen sind in den grauen Balken dargestellt.

Linie 1Linie 2Linie 3Linie 4Linie 5
Median80%80% 80% 80% 80%
Durchschnitt80% 81% 58%88%97%

Bei allen fünf Buslinien ist der Median (maximale Auslastung in %) genau 80 %. Die durchschnittliche Auslastung schwankt aber massiv. Der Median gibt keine Information darüber, wie dicht belegt die anderen Fahrten waren. Es ist also nicht möglich, vom Median auf die durchschnittliche Auslastung zu schließen, will man seriöse Angaben machen.

Wenn die Buslinie 6 beispielsweise morgens zwischen 7 und 8 Uhr eine maximale Auslastung von 80% hat, könnte das heißen, dass alle Fahrten zu 80% ausgelastet sind. Es kann aber auch heißen, dass jeder zweite Bus drastisch überfüllt gefahren ist.

Zielauslastung eines Busses

Unser Bus-Flashmob hat neben dem realistischen Fahrgastlimit in einem Gelenkbus auch eine weitere Erkenntnis gebracht: Je voller der Bus ist, desto länger dauert der Fahrgastwechsel. Denn sind die Gänge erstmal voll, braucht das Ein- und Aussteigen deutlich mehr Zeit. Der Fahrplan ist so nicht mehr einzuhalten.

Daher hat der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen bereits 2001 festgelegt: Für einen zuverlässig funktionierenden ÖPNV soll die maximale Auslastung 65% nicht übersteigen.1
Verkehrserschließung und Verkehrsangebot im ÖPNV, 2001
Berechnungsgrundlage dafür ist die Kapazitätsermittlung nach VDV: Bei Gelenkbussen also knapp 100 Plätze. Genau diese Zielgröße hat der Berliner Senat beispielsweise vertraglich mit den Berliner Verkehrsbetrieben festgelegt. Details dazu finden sich in unserem Artikel zur Berechnung von Buskapazitäten. Der Großteil der aufgezählten Busauslastungen der ESWE lag deutlich über den empfohlenen 65%.

Fazit

Ein Teil der hitzigen Diskussion im Herbst 2018 hätte verhindert werden können, wenn der vorgelegte Magistratsbericht ausführlicher und verständlicher gewesen wäre. Auch die korrekte Interpretation der Zahlen wäre mit ausführlicheren Darstellungen einfacher gewesen. Unvollständige Informationen bieten natürlich genügend Raum für jeden, der die Zahlen unbewusst oder bewusst falsch interpretiert und daraus unzulässige Schlüsse zieht. Und beides ist geschehen.

Generell möchten wir, als Verein und Bürgerinitiative, sowohl den Magistrat, als auch die ESWE Verkehr dazu ermutigen weitere Schritte hin zu einer transparenten und offenen Kommunikation zu unternehmen. Dabei müssen aber auch die zur Einordnung nötigen Hintergrundinformationen bereitgestellt werden, um der interessierten Öffentlichkeit eine Meinungsbildung frei von Spekulationen und Vorurteilen zu ermöglichen.

Die Diskussion um die Zahlen wird auch nicht konstruktiver, solange die ESWE Verkehr selbst verschiedene Kapazitätsangaben für ihre Busse kommuniziert. Denn während die meisten Blogeinträge mittlerweile die realistischen Kapazitätsangaben (gemäß VDV) verwenden, stehen in den technischen Fahrzeugdaten noch immer die Herstellerangaben.

Ein seriöser Vergleich zwischen Bussen und Straßenbahnen basiert darauf, dass bei beiden die Fahrgastkapazitäten nach demselben Verfahren ermittelt werden: Entweder nach einem realistischen, erprobten und empfohlenen Verfahren (VDV) oder die Sardinenversion mit bis zu 8 Personen pro Quadratmeter, wie sie fälschlich und unrealistisch von den Herstellern verwendet wird. Oder man verwendet die Sardinenberechnung ebenfalls bei Straßenbahnen – dann fasst aber zum Beispiel in die 30 Meter lange Skoda ForCity Chemnitz knapp 300 statt 190 Personen.

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Quellen

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1
Verkehrserschließung und Verkehrsangebot im ÖPNV, 2001
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[…] hineinzubekommen – das war die Herstellerangabe für die Kapazität dieses Busses und das von einigen Parteien und Initiativen behauptete Fassungsvermögen. Selbst bei Quetschen haben „nur“ 128 Personen hineingepasst – eine sichere Fahrt […]

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