03.12. Die barrierefreie Stadt

In Städten leben Menschen zusammen, die unterschiedlichste Bedürfnisse haben. Jeder sieht seine Stadt aus der eigenen Perspektive. Doch was dem einen im Alltag nicht auffällt, kann für den anderen ein massives Problem darstellen. Nehmen wir beispielsweise eine hohe Bordsteinkante. Bisher ist sie mir nicht besonders aufgefallen. Als ich aber mit einem Einkaufstrolley unterwegs bin, wird sie zu einem kleinen Hindernis.

Für einen kurzen Augenblick erlebe ich die Stadt aus der Perspektive einer Person, die auf einen Rollator oder Rollstuhl angewiesen ist. So wie ein und die selbe Person die Stadt und den Verkehr je nach benutzten Verkehrsmittel unterschiedlich wahrnimmt und beurteilt, wechselt also die Perspektive je nach persönlicher Lebenssituation. Den Durchschnittsmenschen gibt es nicht wirklich – schon allein weil jeder Mensch eine Entwicklung vom Baby zum Senioren durchläuft.

Eine Stadt muss daher in allen Lebenssituationen gut nutzbar und erlebbar sein. Oft sieht die Realität leider noch ganz anders aus. Wo Straßen primär nach den Anforderungen des Autoverkehrs geplant werden, bleibt für andere Nutzungen kaum Platz übrig. Was dann für den einen nur hinderlich ist, kann für Menschen mit körperlichen Einschränkungen zur echten Behinderung werden.

Von einer barrierefreien Stadt profitieren alle

Nicht nur am 3. Dezember, dem „Internationaler Tag der Menschen mit Behinderung“, ist daher „Barrierefreiheit“ ein wichtiger Aspekt bei aller Planungen – sei es Wohnungsbau, öffentlicher Raum aber auch privatwirtschaftliche Einrichtungen (Geschäfte, Gaststätten, Praxen, Hotels etc.). Wieviele Geschäfte einer Stadt barrierefrei zugänglich sind, kann man beispielsweise auf der Webseite wheelmap sehen.

Illustration Barrierefreiheit für Sehbehinderte
Barrierefreiheit bedeutet auch, dass sich sehbehinderte Menschen eigenständig in der Stadt bewegen können. Ein Tastmodell, wie in der Wiesbadener Innenstadt, verhilft blinden Menschen zu einer Vorstellung vom Stadtbild (Foto: sk)

„Barrierefreiheit“ bedeutet nicht nur, dass Wege und Gebäude für Menschen im Rollstuhl gut nutzbar sind. Auch Menschen, die nicht gut sehen oder hören können, kann die Orientierung in der Stadt erleichtert werden. Von einer barrierefreien Stadt profitieren wir alle. Eine Rampe statt Treppe ist für einen Rollstuhlfahrer Notwendigkeit, für die Person mit Kinderwagen wichtige Hilfe, erspart aber auch dem Reisenden mit Rollenkoffer umständliche Schlepperei. Auch niedrig angebrachte Aufzugsknöpfe helfen nicht nur Rollstuhlfahrern oder kleinwüchsigen Menschen, sondern auch Kindern.

Neubauprojekte als Chance

Im Bestand ist die Schaffung von Barrierefreiheit aufgrund der Vielzahl von kleinen Maßnahmen und Sachzwängen mühselig und kommt oft nur langsam voran. So sollen eigentlich bis 2022 alle Bushaltestellen in Deutschland barrierefrei ausgebaut sein, ein Ziel das leider in den meisten Gemeinden nicht erreicht wird. Dies gilt auch für Wiesbaden (siehe Barrierefreiheit bei Bus und Bahn). Leichter geht es bei Neubauprojekten, bei denen die Berücksichtigung der Barrierefreiheit schon aufgrund gesetzlicher Vorgaben vorgeschrieben wird. Neue Straßenbahnsysteme sind daher von Anfang an barrierefrei. Im Zuge der Baumaßnahmen werden meist auch Bürgersteige und Überwege barrierefrei ausgebaut. Viele Beispiele sind in unserer Rubrik „Blick über den Tellerrand“ zu finden.

Rücksichtsvoller Umgang ist notwendig

Barrierefreiheit erfordert Rücksichtnahme
Barrierefreiheit erfordert genügend Platz für Fußgänger, bauliche Maßnahmen aber auch rücksichtsvoller Umgang mit öffentlichen Raum. Zugestellte Gehwege und Blindenleitstreifen behindern nicht nur behinderte Menschen (Foto: sk)

Aber auch wenn Wege und Einrichtungen barrierefrei gestaltet sind ist Rücksichtnahme notwendig. Denn schon heute wäre das Leben für Fußgänger mit und ohne Behinderung leichter, wenn Gehwege nicht durch Werbeaufsteller, Mülltonnen oder Autos zugestellt würden und alle Straßeneinmündungen frei von Falschparkern wären.

02.12. – Hannover: Mit kostenlosem ÖPNV zum Adventsshopping

Gerade an Wochenenden und zu Veranstaltungen kommt es zu langen Staus und gut gefüllten Parkhäusern in Innenstädten. Die autobegeisterten Deutschen besitzen auch in Wiesbaden trotz gutem ÖPNV (Öffentlicher PersonenNahVerkehr) immer mehr Autos. Der Leidensdruck zum Umsteigen ist offenbar noch nicht hoch genug. Autofahrer brauchen also doch noch Anreize, ihr Auto stehen zu lassen und die Annehmlichkeiten des ÖPNV genießen zu können, statt sich im Stau zu treffen.

Die Region Hannover bot nun am ersten Adventssamstag ihren kompletten ÖPNV kostenlos an. Damit startete die Region zeitgleich mit den Stadtgebieten in Münster und Karlsruhe den bundesweit erste Großversuch, kostenlosen ÖPNV anzubieten, wenn auch erst Mal nur für einen Tag. In Münster und Karlsruhe ist sogar an den nächsten drei Adventssamstagen der ÖPNV kostenlos.

Kritiker befürchten zu viele negative Erfahrungen mit solchen Aktionen oder grundsätzlich mit kostenlosem ÖPNV. Sie befürchten, dass etwas nicht gewürdigt wird, was nichts kostet. Und dass ein überfüllter (weil kostenloser) ÖPNV mit den einhergehenden Verspätungen und vollen Fahrzeugen mehr Menschen abschreckt als anlockt.

„Es hat sich gezeigt, dass mit einem verbesserten Verkehrsangebot und verkehrslenkenden Maßnahmen die Innenstadt spürbar vom Autoverkehr entlastet und damit die Lebensqualität gesteigert werden kann, ohne den Einzelhandel in der City zu beeinträchtigen“

Ulf-Birger Franz, Verkehrsdezernent Region Hannover
Volle Busse, leere Straßen: Dank höherer Kapazität und Verkehrslenkung waren 60% mehr Menschen im ÖPNV unterwegs.
(Bild: ChristianSchd, Mercedes-Benz Citaro Irvine Solobus Uestra Hauptbahnhof Hannover Germany, CC BY-SA 4.0)

In einer ersten Stellungnahme sind alle Beteiligten in Hannover aber zufrieden mit der Aktion. In der Innenstadt waren trotz des traditionell verkehrlich sehr schwierigen Ersten Advents viele Parkhäuser nur halb gefüllt, der ÖPNV zählte dagegen 60% mehr Fahrgäste. Umso besser genutzt waren Hannovers Busse, S-Bahnen und Trams. Auch die Regionalzüge waren voller, die DB setzte Verstärkerzüge ein. Die Einfallstraßen waren deutlich leerer, obwohl viele Straßen und Spuren für Busse und Trams an dem Tag freigehalten wurden.

„Die Kunden waren so entspannt wie wir das an einem Samstag vor Weihnachten so nicht gewohnt waren. Die Umsätze bewegten sich auf Vorjahresniveau, obwohl wir mit dem Black Friday gerade einen Tag vor dieser Aktion einen enorm umsatzstarken Verkaufstag zu verzeichnen hatten“

Martin Prenzler, Geschäftsführer City-Gemeinschaft

Trotz der hohen Kosten von schätzungsweise 600.000 Euro für Straßensperren, Kommunikation und zusätzliche Fahrzeuge, hoffen die Initiatoren, dass einige Autofahrer weiter das Auto stehen lassen und das eingesparte Geld lieber bequem bei den Einzelhändlern der Stadt lassen.